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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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kriegen können.»
    Sara goss sich Ahornsirup über die Pfannkuchen. Es waren vier vollkommene Kreise, gleichmäßig dick. «Was für Dummheiten hätte Jessie machen sollen?»
    «Pillen», sagte Nell und wendete die nächsten Pfannkuchen. «Sie hat schon mal zu viele Pillen geschluckt. Wenn du mich fragst, wollte sie nur Aufmerksamkeit erregen. Robert macht nicht den Eindruck, als ob er ihr zu wenig Aufmerksamkeit schenkt, aber man weiß ja nie.»
    «Nein», bestätigte Sara, den Mund voll Speck. Bis gestern Abend hätte sie auch nie gedacht, dass Jeffrey fähig wäre, ihr zu drohen. Sie konnte immer noch den Lufthauchspüren, als er eine Handbreit neben ihrem Gesicht mit der Faust gegen die Wand geschlagen hatte. «Würde sie ihn je betrügen?»
    «Ha», Nell lachte, während sie sich den Teller voll lud. Sie setzte sich Sara gegenüber an den Tisch und bediente sich großzügig mit Ahornsirup. «Wenn, dann müsste sie sich jemanden in Alaska suchen. Robert weiß über alles Bescheid, was hier passiert. Wahrscheinlich wird er Sheriff, wenn der Alte abdankt. Hoss sitzt seit ewigen Zeiten auf seinem Sessel. Und ich schätze, irgendwann müssen sie ihn mit den Füßen zuerst aus dem Büro tragen. Aber wie ich die Leute hier kenne, würden sie ihn noch wählen, wenn er schon tot ist.»
    «Es gibt hier keine eigene Polizeitruppe, nur das Büro des Sheriffs?»
    Nell nahm eine Gabel voll Ei. «Weißt du, wie klein dieses Nest ist? Wenn wir auch noch mehrere Cops hätten, wer würde dann die Tankstelle führen?» Sie stand auf. «Saft?»
    «Nein, danke.»
    Nell nahm zwei Gläser aus dem Schrank und stellte sie auf den Tisch. «Wenn Jeffrey hier geblieben wäre, hätte sich Hoss natürlich längst zur Ruhe gesetzt.»
    «Warum?»
    Sie schenkte Saft ein. «Thronfolger. Roberts Vater war ein Versager, aber besser einen Versager zum Vater als jemanden wie Jimmy Tolliver. Der Mann war ein Monster. Jeffrey redet nicht darüber, aber die Narbe unter seiner Schulter hat er von seinem Daddy.»
    Sara kannte die Narbe, doch sie hatte nie danach gefragt, um nicht über ihre eigene Narbe reden zu müssen. Jetzt fragte sie: «Was ist passiert?»
    Nell setzte sich wieder. «Ich war dabei», sagte sie und nahm einen Bissen von ihrem Pfannkuchen. Ungeduldig wartete Sara, dass sie fertig gekaut hatte. Ausnahmsweise interessierte sie, was Nell zu sagen hatte. Endlich schluckte sie runter. «May hat ihn beleidigt, und da hat er sich auf sie gestürzt. Jimmy ist total ausgerastet. So was hab ich noch nie gesehen. Hoffentlich muss ich das auch nie wieder sehen.» Wieder klopfte sie auf Holz.
    Sara schluckte, obwohl sie nichts im Mund hatte. «Sein Vater hat seine Mutter geschlagen?»
    «Schätzchen, geschlagen hat er sie die ganze Zeit. May war so was wie Jimmys persönlicher Punchingball. Jeffrey auch, wenn er daheim war. Was selten vorkam. Meistens war er draußen im Steinbruch, weil er es nicht ausgehalten hat. Da draußen hat er sich dann hingesetzt und bis Sonnenuntergang gelesen. Manchmal hat er sogar da übernachtet, außer wenn Hoss ihn gefunden hat. Der hat ihn dann mit aufs Revier genommen.» Sie trank einen Schluck Saft. «Na ja, dieses eine Mal, als ich da war, sind sie aufeinander losgegangen, und Jeffrey wollte dazwischengehen. Jimmy hat ihm dermaßen eins übergebraten, dass Jeffrey durch die Luft geflogen ist, und das mein ich buchstäblich, quer durch die Küche. Da hat er sich dann am Herd den Rücken aufgeschlitzt. Damals gab es noch diese Griffe mit den scharfen Metallkanten, nicht wie heute, wo alles mit Drehknöpfen und Schaltern geht.»
    Nach einer Weile sagte Sara: «Das habe ich nicht gewusst.» Sie versuchte sich vorzustellen, wie es für Jeffrey war, in einer solchen Umgebung aufzuwachsen, doch es gelang ihr nicht. Wie die meisten Kinderärzte hatte sie genug misshandelte Kinder in ihrer Praxis gehabt. Nichtsmachte sie wütender als die Feigheit von Erwachsenen, die ihre Frustration an einem Kind ausließen.
    «Jeffrey ist nicht so leicht auf die Palme zu bringen», fuhr Nell fort. «Ich schätze, dass ist ein guter Zug, aber vielleicht auch nicht. Man fragt sich, was er alles in sich reinfrisst. Er hasst Streit. Schon immer. Wusstest du, dass er am Auburn College ein Stipendium hatte?»
    «Jeffrey?», fragte Sara verblüfft.
    «Zum Teil wegen seinem Football, aber sie geben einem kein dickes Stipendium, um die Ersatzbank zu drücken.» Plötzlich lachte sie laut auf, als könnte sie nicht glauben, was sie da gesagt

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