Schattenblume
ganzen Leben noch keine Frau geschlagen.»
Sara wartete.
«Eher würde ich mir die Hand abhacken.» Mit mahlenden Kiefern rang er um Fassung. «Ich habe jeden Tag meiner Kindheit zusehen müssen, wie mein Dad meine Mutter verprügelt hat. Manchmal hat sie ihn provoziert, manchmal hat er es nur getan, weil er es so wollte.» Er sah Sara immer noch nicht in die Augen. «Ich weiß, du hast keinen Grund, mir zu glauben, aber ich würde dir niemals wehtun.» Als Sara nicht antwortete, fragte er: «Was hat meine Mutter zu dir gesagt?»
Sara konnte die Worte nicht wiederholen. «Es spielt keine Rolle.»
«Doch, es spielt eine Rolle», widersprach er. «Es tut mir Leid. Es tut mir Leid, dass ich dich überhaupt hierher gebracht habe, an diesen … diesen Ort.» Jetzt blickte er sie an, seine Augen waren rot. «Ich wollte nur, dass du siehst …» Er brach ab. «Verdammt, ich weiß nicht, was ich wollte. Dass du siehst, wer ich wirklich bin. Vielleicht ist es das, was du jetzt zu sehen bekommst. Vielleicht bin ich in Wirklichkeit so.»
Er tat ihr Leid, doch dann kam sie sich deswegen albern vor.
Er nahm den Stuhl, auf dem Nell gesessen hatte, rückte ihn vom Tisch ab und setzte sich. «Bobby wollte heute Morgen nicht mit mir reden.»
Sara wartete.
«Als ich reinkam, war er schon angezogen und wollte nach Hause.» Jeffrey hielt inne. Sie konnte seine Hilflosigkeit spüren. «Ich hab ihm gesagt, dass wir reden müssen, aber er hat einfach nein gesagt. Einfach so. ‹Nein›, als ob er was zu verbergen hätte.»
«Vielleicht stimmt es.»
Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch.
«War Jessie bei ihm?»
«Nein. Sie war noch nicht mal wach, als ich bei ihren Eltern vorbeigefahren bin.»
Sara biss sich auf die Lippe. Sie wusste nicht, ob sie ihm von ihrer Entdeckung erzählen sollte oder nicht.
«Komm schon», bat er. «Sag mir, was ich übersehen habe.» Frustriert schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch. «Gott, ich mache das doch nicht mit Absicht, Sara. Egal, wie viele Jahre vergangen sind, er ist immer noch mein bester Freund. Es ist nicht leicht, in so einem Moment ein guter Cop zu sein.»
Sara atmete tief ein. Der Schlag auf den Tisch hatte sie erschreckt, am liebsten wäre sie wirklich aufgestanden und gegangen. Nur weil er aus einer gewalttätigen Familie kam, hieß das zwar noch lange nicht, dass auch er zu Gewalt neigte, aber sie wurde das Bild von gestern Nacht nicht los. Seine breiten Schultern und sein muskulöser Körper, den sie immer so attraktiv gefunden hatte, hatten plötzlich etwas Bedrohliches bekommen.
Anscheinend spürte er ihre Reaktion, denn seine Stimme wurde weicher. «Bitte sieh mich nicht so an.»
«Ich wollte nur –»
Als sie nichts sagte, fragte er: «Was?»
Sara presste das Kinn auf die Brust. Für diese Unterhaltung war sie noch nicht bereit. Stattdessen kam sie auf dasgegenwärtige Problem zurück. «Ich will mir Roberts Einschusswunde noch einmal ansehen.»
«Warum?»
«Ich bin mir nicht sicher, aber …», begann sie, doch dann war sie plötzlich überzeugt. «Unterhalb der Wunde waren Schmauchspuren.»
«Du bist dir nicht sicher?»
«Ich
will
mir nicht sicher sein, aber im Grund bin ich es.»
Er lachte tonlos. «Er hat die ganze Zeit die Hand drauf gedrückt.»
«Er hat das Blut mit seinem Hemd gestillt.»
«Hat er dich das Hemd ansehen lassen?»
Sara schüttelte den Kopf. Wenn die Pistole aus nächster Nähe abgefeuert worden war, wären auch auf dem Hemd Schmauch- und Pulverspuren.
Er sagte: «Im Krankenhaus haben sie es wahrscheinlich weggeschmissen.»
«Oder er.»
«Oder er», bestätigte Jeffrey. Er schüttelte den Kopf. «Wenn er doch nur mit mir reden würde. Er könnte mir versuchen zu erklären, was passiert ist …»
«Was machen wir jetzt?»
Er schüttelte wieder den Kopf. «Warum redet er bloß nicht mit mir?»
Die Antwort lag auf der Hand, doch Sara schwieg.
«Vielleicht hat Luke Swan versucht, sich auf ihn zu stürzen. Er lag schließlich nur einen knappen Meter entfernt.»
«Eher anderthalb.»
«Dann hat Robert ihn weggestoßen», sagte Jeffrey. «Swan war wahrscheinlich auf den Knien.»
«Möglich.»
Sie hörte die Anspannung in seiner Stimme, als er versuchte, alles irgendwie zu erklären. «Vielleicht hat Swan gehört, wie Robert seine Pistole holte. Da ist er auf ihn los. Vielleicht stand er direkt vor ihm.» Jeffrey hielt die Hand hoch, mit den Fingern machte er die Pistole nach. «Er hat auf Robert geschossen, und
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