Schattenblume
hatte. «Erzähl das bloß nicht Possum, aber es ist die reine Wahrheit. Kaum war Jeffrey in Auburn, hat er Football gehasst. Er wäre aus dem Team ausgetreten, wenn Hoss ihn gelassen hätte.»
«Und was hatte Hoss damit zu tun?»
Nell legte die Gabel nieder. «Weißt du, warum Jeffrey Slick heißt?»
«Ich kann es mir denken.»
Nell lachte schnaubend. «Ja, weil er so gut aussieht. Aber in Wirklichkeit hat er den Namen, weil er sich, egal, was er anstellte, aalglatt aus allem herausgewunden hat.»
«Was hat er denn so angestellt?»
«Ach, nichts Besonderes im Vergleich zu dem, was die Kinder heute so machen. Er hat im Warenhaus geklaut, sich Mamas Auto genommen, wenn sie besoffen auf der Couch lag. Wahrscheinlich genau das Gleiche, was sein Vater in dem Alter auch gemacht hat. Zwischen zehn und zwölf. Isst du das noch?» Als Sara den Kopf schüttelte, nahm sich Nell das letzte Stück Pfannkuchen von ihrem Teller. «Jeffrey wäre wahrscheinlich genau da, wo sein Vater jetzt ist, wenn Hoss sich nicht eingemischt hätte.»
«Und wie hat Hoss sich eingemischt?»
«Hat ihn den Rasen vor dem Gefängnis mähen lassen, statt ihn darin einzusperren. Manchmal hat er Jeffrey mit reingenommen, damit er sich mit ein paar von den Härtefällen unterhält. Das hat ihm eine Heidenangst eingejagt. Robert auch, aber der hatte es nicht so nötig. Er war schon immer eher der Mitläufer, und wenn man Jeffrey auf den rechten Weg brachte, hatte man bei Robert auch gewonnen.»
«Hoss sei Dank.»
«Manchmal komm ich ins Grübeln.» Nell lehnte sich mit ihrer Kaffeetasse zurück. «Jeffrey hat ein weiches Herz. Aber das hast du wohl auch schon bemerkt.»
Sara antwortete nicht, doch sie fragte sich, ob Nell ihn wirklich so gut kannte. In sechs Jahren konnte viel passieren. Schon in einer Nacht konnte viel passieren.
«Früher hab ich immer gedacht, er würde mal Lehrer werden, vielleicht Footballtrainer an der Highschool. Doch als Jimmy lebenslänglich kriegte, hat Jeffrey sich verändert. Vielleicht hat er gedacht, er könnte dadurch, dass er zur Polizei ging, die Verbrechen seines Dads wettmachen. Vielleicht wollte er es auch nur Hoss recht machen.»
«Und, hat er?»
Nell schob ihren Teller weg. «Na, das kannst du wohl glauben.»
In diesem Moment sah Sara Jeffrey am Küchenfenster vorbeigehen. Sie stand auf. «Ich muss mich anziehen.»
Jeffrey kam durch die Hintertür. Er schien überrascht, Sara und Nell beim Frühstück anzutreffen.
Sara erklärte: «Ich wollte mich gerade fertig machen.»
Er sah sie kurz an und sagte: «Du siehst gut aus.» Saratrug immer noch den Pyjama, in dem sie gestern Abend aus seinem Elternhaus gerannt war.
Nell fragte: «Wie geht es Jessie und den anderen?»
«Den Umständen entsprechend.» Er deutete auf die leeren Teller. «Riecht gut.»
«Ich hab Possum nicht geheiratet, um mich für dich an den Herd zu stellen.» Nell stand auf. «Aber es ist noch reichlich Teig da und Rührei ebenfalls. Ich gehe mal nachsehen, ob die blöden Hunde ihr Wasser schon ausgekippt haben.»
Kaum war Nell draußen, war es vorbei mit der Gesprächigkeit. Sara setzte sich schweigend an den Tisch – sie wusste nicht, was sie sonst tun sollte. Die Pfannkuchen lagen ihr tonnenschwer im Magen. Ihr Kaffee war inzwischen lauwarm, doch sie schaffte es, ihn hinunterzuwürgen.
Jeffrey kaute auf einem Stück Speck herum und goss sich Kaffee ein. Er stellte die Kanne zurück auf die Wärmeplatte, doch dann nahm er sie wieder herunter, um Sara nachzuschenken. Sie schüttelte den Kopf. Also stellte er die Kanne wieder zurück, steckte sich noch ein Stück Speck in den Mund und starrte in Richtung Spüle.
Sara malte mit der Gabel in den Siruppfützen auf ihrem Teller und überlegte, was sie sagen könnte. Eigentlich war er an der Reihe. Also legte sie die Gabel hin und verschränkte die Arme. Sie sah Jeffrey erwartungsvoll an.
Er räusperte sich. Dann fragte er: «Was wirst du heute aussagen?»
«Was willst du hören?», fragte sie zurück. «Oder versuchst du wieder, mich einzuschüchtern?»
«Ich hätte das nicht tun dürfen.»
«Nein, hättest du nicht», sagte sie. Plötzlich war wieder die Wut von gestern da. «Ich sage dir eins: Nach deinerDrohung und dem, was deine Mutter zu mir gesagt hat, sollte ich jetzt einfach aufstehen und gehen.»
Er blickte zu Boden, und sie spürte, dass er sich schämte. Seine Stimme versagte, und er musste sich noch einmal räuspern, bevor er herausbrachte: «Ich habe in meinem
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