Schattenblume
nach vermissten Personen gefragt.»
«Und?»
«Ich habe noch nichts von ihm gehört. Den ganzen Tag habe ich von überhaupt niemandem etwas gehört.» Sogar Deacon White hatte kaum ein Wort mit ihr gewechselt, seit sie mit dem Skelett gekommen war. Schließlich sagte Sara: «In einem so kleinen Ort kann ich mir kaum vorstellen, dass die Liste der vermissten Personen besonders lang ist.»
«Glaubst du, es ist in letzter Zeit passiert?»
«Nein, ich schätze, es ist zehn, vielleicht fünfzehn Jahre her», sagte Sara. «Ich habe fünf Stunden gebraucht, um die Knochen wieder zusammenzusetzen. Ich glaube, ich weiß, wie sie gestorben ist.»
«Musste sie leiden?»
«Nein», log Sara. Sie hoffte, sie klang überzeugend.«Ich weiß nicht, was jetzt passiert. Ich weiß nicht einmal, ob wir morgen schon heimkommen können.»
«Du bleibst also bei Jeffrey?»
Sara biss sich auf die Unterlippe. Jetzt war sie schon so weit gegangen, da konnte sie auch gleich alles sagen. «Anscheinend will ich, je mehr Leute schlecht über ihn reden …»
«Dich um ihn kümmern?»
«So würde ich es nicht unbedingt sagen.»
«Ihn verteidigen?»
«Mama …», fing Sara an, doch sie brach ab. «Ich weiß es nicht», sagte sie dann, und es war die Wahrheit. «Es stört mich, dass ihr so gegen uns eingenommen seid.» Sie dachte an ihren Vater. «Es stört mich, dass Daddy ihn nicht leiden kann.»
«Ich weiß noch», sagte Cathy, «als du vier oder fünf Jahre alt warst.»
Sara presste die Lippen zusammen und wartete auf die Anekdote, die ihre Mutter zum Besten geben wollte.
«Wir waren alle zusammen unten am Golf von Mexiko, und dein Vater ist mit dir angeln gegangen, um dem ganzen Trubel zu entfliehen. Weißt du noch?»
«Nein», sagte Sara, auch wenn sie so viele Fotos von dem Urlaub gesehen hatte, dass sie dachte, sie müsste sich erinnern.
«Ihr habt mit Gummiwürmern geangelt, aber dauernd haben Krebse an den Ködern gehangen, weil sie sie natürlich für echt hielten.» Sie lachte. «Ich weiß noch, wie dein Daddy getobt hat. Er hat die Krebse angebrüllt, dass sie loslassen sollen, ihr verbeißt euch in billige Attrappen, hat er gerufen.» Sie wartete einen Moment ab, ob Sara verstand. «Er hat alles versucht. Er hat sogar mit dem Hammer nachden Viechern geschlagen. Schließlich hat er die Schnur gekappt, und hat den Krebsen ihren Willen gelassen.»
Sara atmete langsam aus. «Bin ich der sture Krebs oder der billige Köder?»
«Du bist unser Mädchen», sagte Cathy. «Und irgendwann kommt dein Vater zur Vernunft. Dann kappt er die Schnur und lässt dir deinen Willen.»
«Und du?»
Cathy lachte. «Ich bin der Hammer.»
Sara konnte ein Lied davon singen. Doch sie sagte nur: «Ich höre auf mein Gefühl.»
«Und was sagt dir dein Gefühl?»
«Das ich …» Sie wollte sagen, dass sie Jeffrey liebte, doch sie brachte es nicht über die Lippen.
Cathy verstand auch so. «So viel also zum Herumvögeln.»
Sara fand keine Worte, um zu erklären, was in der Höhle geschehen war, doch sie versuchte es. «Ich weiß nicht warum, aber trotz allem, was hier passiert, habe ich Vertrauen zu ihm. Bei ihm fühle ich mich sicher.»
«Das ist nicht wenig.»
«Ja», stimmte Sara zu. «Du kennst mich wohl besser, als ich dachte.»
«Das tu ich», sagte Cathy und seufzte resigniert. «Aber ich sollte mehr Vertrauen zu dir haben.»
Sara schwieg.
«Ich kann dich nicht vor der Welt beschützen.»
«Das brauchst du auch nicht», sagte Sara. «Manchmal wäre es vielleicht schön, aber ich komme allein zurecht.» Um ihre Worte abzumildern, fügte sie hinzu: «Trotzdem hab ich dich lieb, weil du für mich da bist.»
«Ich hab dich auch lieb, Schätzchen.»
Jetzt seufzte Sara. Normalerweise wollte sie, wenn etwas schief ging, nur eins: bei ihrer Mutter in der Küche sitzen und ihr zuhören. Doch jetzt hätte sie sich am liebsten an Jeffreys Schulter gelehnt und wäre eingeschlafen. Das war neu. So hatte sie noch nie für einen Mann empfunden. Selbst als Teenager, mit Steve Mann, als alles so aufregend und neu war, hatte Sara nicht dieses brennende Verlangen gehabt, an seiner Seite zu sein. Jeffrey war wie eine Droge, von der sie nicht genug kriegen konnte. Sie war ihm verfallen und konnte nichts tun als abzuwarten, was als Nächstes kommen würde.
Sara sagte: «Ich muss los, Mama. Ich rufe dich morgen an, ja?»
«Pass auf dich auf», sagte Cathy. «Ich heb dir ein paar Muffins auf.»
Sara wartete, bis ihre Mutter auflegte. Als
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