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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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nach dem Karton und knöpfte sich dabei die Bluse zu. Sie wartete, bis sich Molly die Kiste mit dem Wasser aufgeladen hatte, dann drückte sie die Schwingtür zum Mannschaftsraum auf. Lena hatte es geschafft, die Turnschuhe wieder anzuziehen, nur zugebunden hatte sie sie nicht. Sie schwitzte an den Füßen, doch noch hielt das Klebeband. Wie konnte sie das Messer unbemerkt jemanden zustecken? Wo konnte sie es so deponieren, damit es jemand etwas nutzte?
    Doch fürs Erste musste sie sich auf die Dinge konzentrieren, auf die sie Einfluss hatte. In der ganzen Wache herrschte Chaos, doch Lena stellte erleichtert fest, dass die Karte, die Frank und Pat gezeichnet hatten, im Großen und Ganzen stimmte. Die Luftschächte waren mit Kleidungsstücken verstopft, und die Aktenschränke und Schreibtische waren vor die Türen geschoben worden. Brad stand in Boxershorts und einem weißen Unterhemd in der Mitte des Raums, seine haarlosen weißen Beine steckten wie Streichhölzer in den schwarzen Socken und Polizeischuhen. Neben ihm auf dem Boden saß Marla mit den drei Mädchen, die sich wie Küken unter ihre Fittiche drängten. Weiter hinten saß Sara mit dem Rücken an der Wand. Ein Mann lag mit dem Kopf in ihrem Schoß, seine Schuhsohlen zeigten in Lenas Richtung. Lena stolperte und ließ den Karton fallen. Der Mann war Jeffrey.
    «Ich helfe Ihnen.» Brad hob die Sandwiches auf und legte sie in den Karton zurück. Er riss die Augen weit aufund sagte mit übertriebener Betonung: «Matt ist an der Schulter getroffen worden.»
    «Was?»
    «Matt», sagte Brad und nickte in Jeffreys Richtung. «Es hat ihn an der Schulter erwischt.»
    Ihre Lippen bewegten sich, sie sagte: «Ah», doch ihr Hirn ratterte fast hörbar, bis sie verstand.
    Sara flüsterte heiser, voller Sorge: «Er verliert immer wieder das Bewusstsein. Ich weiß nicht, wie lange er noch durchhält.»
    Molly fragte: «Können wir irgendwas tun?»
    Sara konnte kaum sprechen. Sie räusperte sich, dann sagte sie: «Sie könnten ihn hier rausbringen.»
    «Nichts da», mischte sich Smith ein. Er durchwühlte die Sandwiches und las die Etiketten. «Was für eine Scheiße, Mann.» Lena hatte das Gefühl, er tat sich extra dicke, und das vermutlich ihretwegen. Sie wurde immer mehr zu der Art Frau, die sie als Polizistin so verachtete. Frauen, die die Polizei riefen, weil ihr Freund ausflippte, und dann flehten und bettelten, damit das Schwein nicht in den Knast kam. Es war etwas an ihnen, an ihrem Verhalten, ihrer Haltung, als warteten sie nur auf die nächste Tracht Prügel. Als sonderten sie einen Duftstoff ab, der die Sorte Männer anzog, die Frauen schlugen.
    Sara sagte: «Er braucht medizinische Versorgung.»
    Molly nahm das Stethoskop und ging nach hinten.
    Smith rief: «Wo willst du hin?»
    «Ich wollte nur   –»
    «Meinetwegen.» Smith trat mit einer leichten Verbeugung zur Seite. Sein Blick traf Lena, und er zwinkerte ihr zu.
    Lena wusste, was von ihr erwartet wurde, und ohne weiter nachzudenken, sagte sie: «Danke.»
    Dann begann sie die Sandwiches auszupacken. Sie verteilte sie an die Kinder und fragte jedes einzelne, ob es ihm gut ging. Immer noch hatte sie das seltsame Gefühl, jemand anders stand hier unten und verteilte Sandwiches, während sie, Lena, an der Decke schwebte und alles nur beobachtete.
    Das Telefon klingelte unaufhörlich, und Smith ging hinüber, nahm den Hörer ab und knallte ihn zurück auf die Gabel.
    Eins der Mädchen erschrak und schrie: «Ich will zu meinem Daddy.»
    Lena beruhigte das Kind. «Schon gut. Es dauert nicht mehr lang.»
    Das Mädchen brach in Tränen aus, und Lena gab ihm eine Flasche Wasser. Sie fühlte sich hilflos und wütend zugleich. «Nicht weinen», sagte sie fast flehentlich. Lena hatte nie besonders gut mit Kindern umgehen können. Doch jetzt versuchte sie es. «Alles wird gut.»
    Marla stöhnte leise und starrte Lena mit glasigem Blick an.
    Lena redete der alten Frau zu. «Wie geht es Ihnen?» Sie versuchte, sich wie ein Sanitäter zu verhalten, und legte die Hand auf Marlas Schulter. «Ist alles in Ordnung?»
    Smith stellte sich zu Molly und Sara. Offensichtlich gefiel ihm nicht, was er hörte, denn schließlich sagte er: «Das reicht. Jetzt haut ab. Und nehmt die Alte mit.»
    Molly sagte: «Er braucht Hilfe.»
    «Und was ist mit mir?» Smith zeigte auf seinen Arm, der mit einem Streifen Stoff verbunden worden war. Der ehemals weiße Stoff war fast ganz von Blut durchtränkt.
    Wieder begann das Telefon zu klingeln.

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