Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
Vom Netzwerk:
den Troubliniern um.
    »Das Verlies hat seine Pforten geöffnet«, rief er. »Ich bringe Euch nach Tyran, so wie ich es versprach; und ich bin gespannt, was uns dort erwartet, meine Freunde. Kommt! Die Schatten rufen nach uns!« Wärmende Sonnenstrahlen. Morgenröte im Hain von Gehani, unweit der Fürstenburg. Aus dem nahen Wald Vogelgezwitscher. Das Raunen des Winds in den Blättern. Das Rauschen des Flusses Dumer, der von den Zinnen der Burg aus zu sehen war. Ihr Haar offen, so daß die Locken ihre Wangen streiften. Baniters Hand, die von hinten ihre Taille umschlang, sie an sich zog, bis sie gegen seine Schultern stieß, seine Nähe spürte, seine Umarmung genoß.
    Jundala träumte …
    Kinderlachen. Die hellen Stimmen der drei spielenden Mädchen: Marisa, die jüngste und ungestümste, ein Wirbelwind, der jeden zum Lachen brachte. Banja, die mittlere, ernst und unnahbar, die ein großes Herz hatte, Vögel mit gebrochenen Flügeln gesund pflegte, verirrte Bienen ins Freie trug, stundenlang Ameisenstraßen im Hain beobachtete. Und schließlich Sinsala, ihre älteste Tochter; ein gewitztes Mädchen, belesen und charmant, ganz der Vater. Schon jetzt eine Schönheit, in ein paar Jahren würde sie den Männern den Kopf verdrehen, gewiß.
    Jundala träumte …
    Ein Abendspaziergang am Fluß. Baniter rannte voraus wie ein junger Bursche, stürzte zum Ufer des Dumers, suchte im körnigen Sand nach roten Flußkrebsen, eine Köstlichkeit im östlichen Ganata. Im gebührlichen Abstand folgten die Leibwachen, Merduk und Gahelin, die stets ein Auge auf das Fürstenpaar hatten. Später ein Abstecher in den Wald, eine Rast unter schattigen Zweigen. Arm in Arm auf dem weichen Moos, Baniters Hand unter ihrem Kleid, und er flüsterte unanständige Worte in ihr Ohr, die sie nur zu gerne hörte. Seine Augen so grün und klar und offen.
    Jundala träumte …
    Und der Abend, die Nacht: die langen Stunden in der Schreibstube der Burg, wenn sie gemeinsam Briefe lasen oder beantworteten, Bücher prüften, Pläne schmiedeten. Heißer Honigwein in einem Tonkrug. Sattes Kerzenlicht. Baniters Ehrgeiz, entfacht durch die Nachrichten vom Kaiserhof, durch die Bosheiten des ›Gespanns‹. Oft schritt er im Raum auf und ab, verfluchte die Fürsten und versprach, sich eines Tages für das begangene Unrecht an seiner Familie zu rächen, das Fürstentum Ganata wiederzuvereinen und in die Stadt Vara zurückzukehren; und sie, Jundala, war seine geduldige Zuhörerin, die ihn mal lobte, mal tadelte, mal anstachelte, bis beide berauscht von der möglichen Zukunft, in der die Geneder wieder ihren alten Rang einnehmen würden, ins angrenzende Schlafgemach taumelten und sich in Leidenschaft aufeinander stürzten. Sie träumte und träumte, und wußte doch, daß dies alles vergangen war; daß sie weder die Burg noch den Hain, weder den Fluß noch den Wald, weder Baniter noch ihre Töchter je wiedersehen würde. Ihr Augenlicht war erloschen, war ihr von den Südseglern geraubt worden. Um sie herrschte ewige Dunkelheit.
Nun trag unsere Bürde und lerne zu sehen …
Und die Schmerzen - sie wollten nicht abklingen. In ihren Augenhöhlen schien noch immer ein glühender Haken herumzustochern; Jundala hörte noch das Zischen ihrer schwelenden Iris, hörte die eigenen, panischen Schreie und das Raunen der Südsegler; spürte Mhadags Hand, der ihr Gesicht gestreichelt hatte, nachdem er den Haken fortgezogen hatte.
    Und nun - wachte oder träumte sie? Waren dort Stimmen in der Finsternis zu hören? Jundala richtete sich auf und stöhnte; tastete nach der Augenbinde, die man ihr umgelegt hatte, doch bei der Berührung des Stoffs jagte eine Welle von Schmerzen durch ihren Schädel, so daß sie verzweifelt um sich schlug … »Seid ruhig, Fürstin. Ich bin ja bei Euch!«
    Mhadags Stimme … der Junge mußte ganz in der Nähe sein. Sie erhob sich; ihre Beine waren geschwächt, und sie spürte unter sich den schwankenden Grund eines Schiffs … die schwarze Barke! Jundala tastete nach dem Schiffsjungen.
    »Wo bist du?« keuchte sie. »Komm her, Mhadag, damit ich dir deine Kehle zudrücken kann, deine Augen herausreißen, so wie du es mit mir getan hast!« Sie verfiel vor Zorn fast in Raserei. »Blind … blind bin ich … du kleines Scheusal hast mich geblendet!«
    »Aber ich bin Euch doch nachgefolgt«, antwortete der Knabe traurig. »Mein Augenlicht erlosch gleich nach dem Euren; die Südsegler nahmen mich als ihr Mitglied auf und schenkten mir die Erkenntnis, so wie

Weitere Kostenlose Bücher