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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch
Autoren: Markolf Hoffmann
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vergehen, und Ihr werdet als eine der Ersten den Südkontinent sehen, mit Euren eigenen Sinnen.«

KAPITEL 11
Täuschung
    Ashnada erblickte die Schiffe schon von weitem. Sie kreuzten um die Südspitze einer Insel, die am Horizont zu erkennen war - Tyran, das westlichste Eiland von Gharax. Goldene Segel reflektierten das Sonnenlicht, waren gleißende Punkte inmitten des Meers.
    Mit geschlossener Faust stand Ashnada an der Reling des Schiffes. Rauch stieg zwischen ihren Fingern empor; das Knochenstück schwelte, seine Hitze war kaum zu ertragen. Doch die Haut blieb unbeschadet, widerstand der magischen Glut.
    »Die Schiffe der Goldei«, rief einer der Solcata-Mönche, die neben Ashnada an der Bordwand lehnten, ein hagerer Mann mit geschorenem Haupthaar. Sein Gesicht war mit den Tuschezeichen der Loge bedeckt. »Die Gerüchte, daß die Echsen von dieser Insel aus unsere Welt überfielen, sind also wahr.«
    Ashnadas Blick war auf die Wasseroberfläche gerichtet. Inmitten der schäumenden Gischt sah sie glühende Fußstapfen: die Spur Durta Slargins. Über Land und über die Wellen - die Ewige Flamme wies ihr den Weg, führte sie zu Rumos Rokariac, dem Anführer der Bathaquar. Sie mußte ihn finden; dies hatte sie ihrem König versprochen.
Blut von meinem Blut, Fleisch von meinem Fleisch, beseelt von meinem Willen …
Wenn sie sich Tarnacs Worte in Erinnerung rief, verging sie fast vor Scham; sie, die ihn verraten und enttäuscht hatte, die sein Vertrauen mißbraucht und den Eid der Igrydes gebrochen hatte, konnte sich nicht verzeihen. »Vergib mir, vergib mir«, flüsterte sie, und ihre Hand ver krampfte sich um den Knochen. »Wie konnte ich dir jemals mißtrauen? Wie konnte ich dich hassen, dich, meinen königlichen Bruder? Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen.«
    … und er, der Gütige, der Barmherzige, hatte ihr verziehen, hatte ihr die Möglichkeit eröffnet, ihre Schuld zu sühnen, indem sie Rumos seiner Strafe zuführte. Wie sehr sehnte sie den Augenblick herbei, an dem sie ihm ihre Klinge in den Leib stoßen würde!
Diesmal wird deine Zauberkunst dir nicht helfen; denn ich trage den Knochen, den Ursprung deiner Macht. Du selbst hast ihn mir gegeben, und durch ihn wirst du sterben, Rumos.
»Wie weit können wir den Echsen entgegenfahren?« fragte sie, ohne sich dem Solcata-Mönch zuzuwenden. »Unsere Schutzzauber sind stark. Die Goldei werden unser Schiff erst sehen, wenn wir in unmittelbarer Nähe der Küste sind. Der Spiegel des Himmels blendet sie.«
    Sie waren von Vodtiva aus zunächst zur Südspitze Gyrs und dann an der gyranischen Küste entlanggefahren. Der Umweg war notwendig gewesen, um die Schutzzauber an die Quelle von Gharjas zu binden. Auf diese Weise hatten sie sich unbemerkt dem legendären Eiland genähert. Überall auf dem Weg hatte Ashnada die glühende Spur gesehen, die nur für ihre Augen sichtbar war.
Rumos lebt und hat sich von den Wellen nach Tyran tragen lassen, so wie Tarnac es in seiner Weisheit voraussah.
    Die Goldei schienen tatsächlich nichts von ihrer Ankunft bemerkt zu haben. Ihre Schiffe waren hinter der nächsten Küstenbiegung verschwunden. So kamen die Gyraner dem Ufer immer näher, und Ashnada befahl schließlich, den Anker auszuwerfen.
    »Laßt ein Boot zu Wasser. Ich werde allein zur Insel hinüberfahren. Rumos kann nicht mehr weit sein.« »Tyran ist eine riesige Insel«, erinnerte sie einer der Zauberer, »und sie besteht aus nichts als Geröll. Ihr würdet Wochen benötigen, um Tyran auf dem Landweg zu durchkämmen.«
    Ashnadas Augen hafteten auf der glimmenden Fährte, die über den Wellenspitzen schwebte. »Der Priester kann sich vor mir nicht verstecken. Was euch betrifft, so bleibt ihr besser an Bord. So könnt ihr mir den Rücken freihalten, falls ich zurückkehre.«
    Es gelang ihnen nicht, sie umzustimmen. So ließen sie ein Boot zu Wasser, und Ashnada ruderte allein auf die Insel zu. Nur ihr Schwert führte sie mit sich und einen Beutel mit Proviant.
    Bald hatte sie die Küste erreicht und kletterte an Land. Die Steine waren mit einer Algenschicht bedeckt, so daß ihre Hände mehrfach abglitten. Als sie auf festem Grund stand, sah sie sich um. Nichts als tristes Grau, eine Wüste aus Schutt. Kein Lebenszeichen: weder kreisten Vögel über der Insel, noch huschten Krebse oder Insekten zwischen den Steinen umher. Tyran war ein totes, verlorenes Land.
    Ashnada hatte die ganze Zeit das Knochenstück in der Hand gehalten. Die Flammenspur war an Land
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