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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch
Autoren: Markolf Hoffmann
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deutlicher zu sehen. Sie führte zwischen verformten Steinen entlang; diese sahen aus, als wären sie geschmolzen und wieder erstarrt, und die Algenschicht war zu einer Kruste zusammengeschrumpft.
    Rumos … hier ist er also an Land gekrochen!
Sie stolperte der Flammenspur hinterher. Es war tatsächlich nicht leicht, auf den Steinkanten vorwärtszukommen; jeder Fehltritt konnte einen gebrochenen Fuß oder Knöchel zur Folge haben. So kämpfte sich Ashnada voran. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken - der Wunsch, ihrem König nahe zu sein, Tarnacs Hand auf der Schulter zu spüren, seine Stimme zu hören und ihm die Gnade, die er ihr gewährt hatte, vergelten zu können. Für ihn würde sie Rumos finden und töten, und für ihn würde sie in den Tod gehen: als seine ergebene Schwester.
    Der Knochen in ihrer Hand schien zu schmelzen, und seine Hitze kroch durch Ashnadas Körper bis in ihr düsteres Herz.
    Ein Meer der Farben … grelles Licht, gelb und grün und rot und violett. Anfangs hatte es Laghanos geblendet, doch er hatte die Augen nicht geschlossen. So war er tiefer und tiefer gesunken; um ihn der Hauch der Sphäre, durch den sein Körper glitt wie durch Nebel. Er hatte sich den magischen Strömen hingegeben, sich entspannt und den Geräuschen gelauscht, die aus der Ferne an sein Ohr getragen wurden: Vogelgesang, lachende Stimmen, heitere Melodien … die Nähe menschlichen Lebens. Ob jene, die dort feierten, ihn erwarteten und bald willkommen heißen würden? Laghanos vermochte nicht zu sagen, wieviel Zeit verstrichen war, seit er sich in das Tor der Tiefe gestürzt hatte. Die Sphäre, die ihn so zärtlich umfing, gewährte ihm einen Frieden, wie er ihn lange nicht mehr empfunden hatte. Alle Qualen fortgewaschen, alles Leid vergessen …
    Dann spürte Laghanos Sonnenstrahlen auf der Haut. Wind in seinem Haar. Hörte Meeresrauschen. Seine Füße strauchelten auf steinernem Grund. Die Berührung war schmerzhaft, als bohrten sich Glasscherben in seine Fußsohlen. Er stürzte, und die goldene Maske prallte auf das Gestein.
    Als er sich erhob, blendete ihn zunächst die Sonne. Wie lange hatte er sie nicht mehr gesehen? Sie erstrahlte über ihm, tauchte die Umgebung in warmes Licht, glitzerte auf dem Meer - ja, am Horizont kräuselten sich Wellen, schlugen gegen die Küste einer langgestreckten Insel. Laghanos stand auf ihrem höchsten Punkt, einem Berggipfel. Hinter ihm ragten zwei mattgraue Felsnadeln empor. Ihre Oberflächen schimmerten wie ein Eisenharnisch und waren mit einer Keilschrift bedeckt; grobe Zeichen, tief in das Gestein geschlagen. Nun wußte Laghanos, wo er sich befand. Dank seines Lehrmeisters Sorturo, der ihn an der Universität von Larambroge unterrichtet hatte, kannte er die Gestalt sämtlicher Quellen. Sorturo hatte ihm Pläne gezeigt, auf denen die magischen Orte skizziert gewesen waren. So erkannte er auch die Felsnadeln wieder: das Eiserne Tor von Tyran. Es war die einzige Quelle, die von keiner Loge beansprucht wurde. Denn Tyran war unbewohnt, ein menschenleeres Eiland. Vom Berggipfel aus blickte Laghanos auf eine Steinwüste : grau und zerfurcht, als hätte ein Sturm hier gewütet.
    Noch während er auf das Land blickte, wandelte sich dieses. Ein neues Bild schob sich vor seine Augen. Das Geröll wich dichtem Gras. Blühende Bäume schwankten im Wind. Vögel mit buntem Gefieder schlugen Kapriolen in den Lüften, und an der Küste lagen Buchten mit weißem Sand. Laghanos sah Boote auf dem Meer umherfahren; Fischer warfen ihre Netze aus, und am Strand spielten Kinder. Ihr Lachen drang bis zu Laghanos empor.
    Er fühlte, wie sich die Maske in seinem Gesicht bewegte.
Sie zeigt mir das vergangene Tyran, bevor der Krieg zwischen Menschen und Sphärenwesen ausbrach.
Er entsann sich der Legende der Kahida, die vor Jahrtausenden über Tyran geherrscht und den Frieden mit den Völkern der Sphäre geschlossen hatte.
Sah Tyran damals so friedlich aus, so idyllisch? Oder gaukelt mir die Maske dies nur vor?
Kurz schloß er die Augen, um sich zu sammeln. Als er sie öffnete, war das Trugbild verschwunden. Vor ihm lag wieder das heutige Tyran, trist und grau und abweisend. Das Gras und die Bäume, die Vögel und lärmenden Kinder: all dies war verschwunden. Statt der Fischerboote kämpften sich Schiffe durch die Wellen. Gleißender Bug und glimmende Segel: die Schiffe der Goldei!
    Laghanos rief nach den Beschlagenen. Er wollte sich vergewissern, ob sie bei ihm waren, ihn noch immer beschützten.
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