Schattenbruch
ihren Fingerspitzen lösten sich kleine Flammen. »Führe mich zu Rumos«, flüsterte sie. »Und dann … beende es.«
Sie vernahm hinter sich ein Geräusch. Wirbelte herum. Hinter ihr kauerten drei Goldei. Es war das erste Mal, daß sie die fremden Wesen zu Gesicht bekam, und sie waren furchteinflößender, als die Gerüchte hatten vermuten lassen: ihre Fänge messerscharf, die Mäuler drohend aufgerissen, die Augen zu Schlitzen verengt. Der Knochen entglitt ihren Fingern. Ashnadas Hand fuhr zum Schwertgriff, und die Klinge sprang aus der Scheide. Sie versuchte, den Abstand zwischen sich und den Echsen zu vergrößern, doch diese setzten ihr nach. »Kennen dich nicht«, fauchte eine von ihnen. »Wer bist du? Hast dich nach Tyran geschlichen … wie konnte es dir gelingen?«
»Bist verflucht«, zischte eine zweite. »Trägst das Mal des Sphärenschänders … laß die Waffe fallen, sonst töten wir dich.«
»Bleibt fort«, warnte sie. »Ich bin nicht gekommen, um mit euch zu kämpfen, also zwingt mich nicht dazu!« »Was willst du dann? Wer schickt dich zu uns?« Die Echsen drängten sie auf dem schmalen Felsengrat zurück, dem Abgrund entgegen. »Spüren deine Angst … hast das Gift der Sphäre in dein Herz gelassen!« Ja, ihr Herz: es schmerzte, stach, sehnte sich nach dem Knochen, der ihr entglitten war. Dort - er lag vor den Pranken des vordersten Goldei. Doch die Echse bemerkte ihn nicht, sah nicht die Flammenspur. »Laß dein Schwert sinken«, befahl die Echse. »Werden dich schonen und von der Last befreien. Lassen dich durch das Silber gehen. Wirst uns eines Tages dafür danken …«
Ein Streich, und dein häßlicher Kopf rollt vor meine Füße,
dachte Ashnada.
Doch kann ich sie alle drei niederstrecken?
Sie waren behende, bewegten sich geschickter als die Wachposten, die sie auf Venetors Stegen getötet hatte. Ihr Herz pochte wild.
Denk an Tarnacs Befehl. Rumos muß sterben … zeige keine Angst … beende es, beende es l
Sie sank auf die Knie, legte das Schwert neben sich ab. Dann warf sie sich dem Goldei zu Füßen, eine Geste der Unterwerfung; doch ihre Finger griffen nach dem Knochen, umschlossen ihn rasch.
»Bist klug«, zischte die Echse. »Mußt nicht sterben. Kannst dem Wahn noch entrinnen.«
Sie hielt den Knochen fest in der Hand, spürte die Gluthitze; die Flamme war mächtig genug, um die Goldei auf der Stelle zu Asche zu verbrennen, wenn sie es nur wollte. Doch Ashnada beschloß, sich ihrer Gefangennahme zu fügen. Verstohlen steckte sie den Knochen in eine Tasche ihres Hemds.
»Werden dich der Sphäre entreißen. Wirst uns erzählen, wie du nach Tyran kommen konntest und was du gesucht hast.« Der Goldei trat einen Schritt zurück. »Werden dich zu Aquazzan bringen. Er soll über dein Schicksal entscheiden.«
Seine Klaue traf ihren Hinterkopf, ein kräftiger Schlag.
Ashnada verlor das Bewußtsein.
Eine brüchige Mauer schirmte die Grabstätte ab; grobe Gesteinsbrocken, die einen Halbkreis an der Küste bildeten. Nur ein schmaler Durchschlupf führte zum Grab. Er lag im Schatten, war nur ein finsteres Loch. Auf dem Meer zogen die Schiffe der Goldei vorbei. Laghanos betrachtete es voller Staunen.
Tyran … wie viele Wunder hältst du noch für mich bereit? Was machte dich zu diesem magischen Ort ?
Als er mit Aquazzan von dem steilen Berg herabgestiegen war, hatten ihn unten die Goldei empfangen. Voller Ehrfurcht waren sie ihm zum Grab gefolgt. Nun umringten sie Laghanos und warteten auf seine Befehle. Doch der Junge blieb stumm; zu sehr verwirrte ihn der stetige Wechsel seiner Umgebung, den die Maske ihm vorgaukelte. Mit jedem Lidschlag änderte sich seine Wahrnehmung; mal sah er das jetzige Tyran, das Geröll, die schroffen Küstenlinien, die echsenhaften Hüllen der Goldei. Dann drängten sich die Bilder aus der Vergangenheit in seine Sinne, als Tyran ein Ort des Friedens gewesen war; der Strand sanft und weiß, zwischen den Dünen die spielende Kinderschar, und die Goldei in ihrer wahren Gestalt - Nebelwesen, die aus der Sphäre nach Gharax geweht worden waren …
Das Reich der Kahida wurde vor Urzeiten zerstört! Es sind nur Trugbilder!
Doch obwohl Laghanos die Täuschung erkannte, ertappte er sich dabei, die Kinder zu beobachten; sie tollten umher, sammelten Muschelschalen, pfiffen auf ausgerupften Grashalmen. Eines der Mädchen schien besonders ausgelassen; sie hatte ein fröhliches, dunkles Gesicht, die Augen voller Schalk. Die Spielkameraden folgten ihren Anweisungen, ließen
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