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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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Seine Stimme klang weinerlich. »Sie bricht hervor!«
    Er brannte mit einem Mal lichterloh. Das Feuer nahm eine dunkelrote Farbe an, und die Haut des Priesters schälte sich in Flocken von den Knochen. »Carputon … rette mich! Rette mich!«
    Ungeld, der neben dem Priester stand, erwachte aus seiner Erstarrung; er griff nach einem Eimer, den die aufspritzenden Wellen gefüllt hatten, und leerte ihn über dem brennenden Greis aus. Dampf zischte empor, hüllte Rumos ein. Er schrie wie am Spieß, und in den Schwaden zeichnete sich eine Kontur ab - eine Figur aus schwarzen Strichen, der Kopf ein leeres Oval … Rumos' Schreie aber wurden zu einem Geheul, das keiner menschlichen Stimme glich.
    »Widerwärtig«, entfuhr es Ungeld. »Von mir aus verbrenne, alter Hexenmeister!«
    Als der Dampf verwehte, erlosch auch die schwarze Kontur. Nur der verkohlte Körper des Priesters blieb zurück; leblos lag er auf den Bohlen, sein Kopf zu einem Klumpen zusammengeschrumpft. Die Ewige Flamme hatte Rumos Rokariac zu sich geholt …
    Nun bäumte das Schiff sich auf und geriet erneut ins Trudeln. Am Steuerrad ließ Parzer erschöpft den Arm sinken.
    »Aus und vorbei.« Er streifte den Turmbinder ab. »Die Gyraner haben uns zur Strecke gebracht. Hißt die weiße Flagge, zählt die Toten - und dann liegt unser Schicksal in Tarnacs Schwielenklaue.«
    Wenn ein Silberfänger stirbt, hallt oft sein letzter Ruf, sein letztes Klagen über das Meer, und alle Artgenossen schwimmen an die Oberfläche, um in den Todesgesang einzustimmen.
    Auch dieses Mal war er an vielen Orten zu vernehmen: an den Küsten Vodtivas und Morthyls, vor Swaaing und Varona. Selbst in fernen Gewässern, im tiefen Südmeer, sangen Meeresriesen das Klagelied. Jundala Geneder lauschte ihnen; sie stand an der Bordwand eines Schiffs und blickte auf das Meer. Der Wind trug die dumpfen Baßtöne an ihr Ohr; zwar waren keine Silberfänger zu erkennen, doch sie mußten ganz in der Nähe sein. Der Schmerz der tiefen Stimmen rührte Jundalas Herz, als sängen die Silberfänger von ihrem Schicksal, ihrem Leid. Seit Wochen segelte das Schiff gen Süden. Längst hatte es die Insel Phaly hinter sich gelassen. Sein Ziel blieb ungewiß; gewöhnliche Seekarten verzeichneten südlich von Phaly kein Land. Dennoch erkundete ein Seefahrerorden diese Gewässer: der Bund der Südsegler aus Sithar. Er war vor Jahrhunderten gegründet worden, als der damalige Südbund seinen Einfluß auf den Meeren ausgeweitet hatte; im Krieg gegen die Königreiche hatte der Orden eine wichtige Seeschlacht entschieden und bezog seitdem Zuwendungen vom Thronrat. Doch anders als die Ritterorden, denen er gleichgestellt war, verstand sich der Bund der Südsegler nicht als Streitmacht des Kaiserreiches. Er verfolgte eigene Ziele. Seit jeher suchten die Südsegler nach einem verschollenen Kontinent im Südmeer, von dem Legenden kündeten; und auch wenn ihre Suche erfolglos blieb, gaben sie sie nicht auf. Allerdings gebarten sie sich im Lauf der Jahrhunderte immer seltsamer; nur selten legten ihre Schiffe noch in Sithars Häfen an, und ihre Geschäfte wickelten sie über Mittelsmänner ab, um ungestört zu bleiben.
Die Suche, die Suche muß weitergehen …
Wie oft hatte Jundala diese Worte vernommen. Seit sie sich mit den Südseglern eingelassen hatte - und Jundala verfluchte diesen Tag - , wußte sie um deren Besessenheit.
Die Suche
war ihr einziges Ziel, sie allein gab ihrem Dasein einen Sinn. Für
die Suche
hatten sie dem Südbund beigestanden, für
die Suche
hatten sie sich Kaiser und Thronrat verpflichtet, und für
die Suche
hatten sie auch Jundala verraten. Die Fürstin war ihre Gefangene, verschleppt im Auftrag der Intrigantin Sinustre Cascodi; und während Jundala auf dem Schiff der Südsegler in die Fremde reiste, war ihr Gemahl Baniter in Vara zurückgeblieben. Jundala fragte sich, ob er noch lebte und den Ränken des Thronrats entronnen war; auch um ihre Kinder sorgte sie sich, die sie vermutlich nie mehr zu Gesicht bekommen würde.
    Anfangs hatten die Südsegler die Fürstin eingesperrt. Erst seit sie das offene Meer erreicht hatten, konnte Jundala sich frei auf dem Schiff bewegen. Sie machte ausgiebig davon Gebrauch, auch wenn es an Deck unheimlich war. Das Schiff war tot, menschenleer; kein Matrose war an Bord zu sehen. Wie sie den Kurs hielten, war Jundala schleierhaft. Nur in der Nacht, wenn sie in ihrer Koje lag, hörte sie die Stimmen der Seefahrer, hörte Seile singen und Segel flattern; und wenn

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