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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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sich versammelte. Mit dem Rückhalt dieser Männer hatte sie sich eine Position erkämpft, die durch die Rückkehr des Thronrats zusätzlich gestärkt worden war. Sinustre war es gelungen, die Absetzung von Hamalov Lomis zu erzwingen; sie hatte vom Silbernen Kreis verlangt, Varona und Ganata wiederzuvereinigen und in Baniters Hände zu legen. Ja, die Erfüllung seines Traumes war zum Greifen nah gewesen, der Triumph, auf den Baniter seit Jahren hingearbeitet hatte: die Teilung des Fürstentums zu überwinden, den Namen seines Großvaters reinzuwaschen … doch dann hatte Uliman Thayrin all dies zunichte gemacht.
    Sinustres Anwesenheit verblüffte Baniter. Nach der Zerschlagung des Thronrats hatte er nicht mehr mit der Unterstützung der Großbürger gerechnet, doch offenbar hatte ihn Sinustre Cascodi noch nicht fallengelassen.
Auch sie wird sich längst die Frage gestellt haben, warum Uliman mich am Leben ließ.
Baniter kamen die Worte in den Sinn, die er im Hinrichtungsprotokoll seines Großvaters entdeckt hatte, niedergelegt in der geheimen Luchsschrift, die nur die Familie Geneder lesen konnte:
Der Schlüssel sprengt den Stein, der Tod ein Trug.
Was immer Norgon Geneder mit diesem Satz hatte sagen wollen - er hatte ihn an seine Nachkommen gerichtet. Die Worte waren Norgons Vermächtnis, und er, Baniter Geneder, mußte sie enträtseln.
    Sinustre war unterdessen im Turm verschwunden; nach einer Weile hörte Baniter Schritte auf der aufwärtsführenden Wendeltreppe. Dann drehte sich ein Schlüssel im Schloß, die Tür schwang zurück. Der Hauptmann der Wachgarde, ein älterer Haudegen mit schwammigen Gesichtszügen, warf einen Blick in den Turmsaal.
    »Fürst Baniter … man wünscht Euch zu sprechen.«
    »Zu so später Stunde? Ich hoffe, es ist jemand von Bedeutung, der mir die Nachtruhe rauben will.« Der Hauptmann wies die Besucherin in den Raum. Sinustre Cascodi hatte die Kapuze des Umhangs zurückgeschlagen; ihre dunkelbraunen Locken waren mit zwei Haarnadeln aus edlem Holz hochgesteckt, das Gesicht dezent geschminkt, so daß die wenigen Falten auf den Wangen kaum auffielen. Ihre Schönheit war mit dem Alter nur gereift; Gerüchten zufolge hatte Sinustre lange als Varas begehrteste Kurtisane gegolten, und die Raffinesse dieser Profession war ihr noch immer anzumerken.
    »Denkt an unsere Vereinbarung«, mahnte der Hauptmann. »Bevor die Ablösung kommt, müßt Ihr von Gendor verschwunden sein.«
    Sinustre Cascodi drückte dankend seine Hand. Der Mann errötete; hastig zog er sich zurück und verschloß die Tür. Doch Sinustre wartete, bis seine Schritte sich entfernt hatten; erst dann richtete sie das Wort an den Fürsten. »Baniter! Ich kann nicht sagen, wie sehr es mich freut, Euch wohlauf zu sehen. Lange Zeit hielt ich Euch für tot, bis mir vor einigen Tagen zugetragen wurde, daß Euch der Kaiser an diesem Ort gefangenhält.« Baniter lachte auf. »Und ich glaubte, Euch bliebe nichts verborgen, was in dieser Stadt vor sich geht. Einundsechzig Tage bin ich nun schon in kaiserlichem Gewahrsam - sind Eure sonst so eifrig sprudelnden Quellen nach dem Gemetzel im Thronsaal versiegt?«
    Sie streifte den Kapuzenumhang ab. Darunter trug sie ein weißes Kleid aus einem dünnen, nahezu durchsichtigen Stoff. Er floß an ihrem Körper herab, war jedoch unterhalb der Brust gerafft, so daß die Falten den Busen verdeckten. Die Träger des Kleides lagen an den Oberarmen an und ließen die Schultern frei. Um ihre Taille hatte Sinustre einen goldgelben Schal gelegt; ihr Aufzug wirkte dadurch noch anzüglicher, die kaum verhüllte Nacktheit noch offensichtlicher.
    »Ihr seid verärgert Baniter; doch glaubt mir, wir konnten nichts für Euch tun. Nach dem Staatsstreich herrschte in Vara Tumult. Der Kaiser machte kurzen Prozeß mit den Gesinnungsgenossen der Fürsten. Bis sich die Wogen geglättet hatten, mußten wir Großbürger uns still verhalten. Es wäre unklug gewesen, allzu genaue Fragen über die Vorgänge im Thronsaal zu stellen.« »So denkt ein jeder zuerst an die eigene Haut«, sagte Baniter. »An einem Abend wollen mich die Bürger von Vara zu ihrem Fürsten ernennen; am nächsten verkriechen sie sich in der Halle der Bittersüßen Stunden und verschließen die Augen vor dem Gemetzel im Thronsaal - aus Angst, der Kaiser könnte weitere Köpfe rollen lassen.«
    »Könnt Ihr es ihnen verdenken? Nichts in Vara ist mehr so, wie es war. Laßt mich berichten, was vor sich gegangen ist, damit Ihr …«
    Baniter schnitt ihr

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