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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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günstige Gelegenheit abwarten.« Mit eleganter Drehung wandte sie sich von ihm ab. »Habt Geduld, Baniter. Wir Bürger von Vara wissen, was wir der Familie Geneder schuldig sind.« Sie hämmerte mit der Faust gegen die verschlossene Tür. Baniter betrachtete ihren wohlgeformten Rücken, den weißen Nacken, die Rundung ihrer Hüften unter dem goldgel ben Schal.
Diese Frau weiß um ihren Einfluß, und die Geheimnisse, die sie zwischen den Laken von ihren Liebhabern erfahren hat, machen sie unberechenbar.
Zudem wurde er den Gedanken nicht los, daß Sinustre ihm etwas verschwiegen hatte; und er, der einundsechzig Tage von allen Geschehnissen im Kaiserreich abgeschottet gewesen war, war ihr ausgeliefert.
    Draußen hallten die Schritte des Hauptmanns. Noch ehe er die Tür öffnete, wandte sich Sinustre ein letztes Mal zu ihm um.
    »Vielleicht gelingt Euch, was Eurem Großvater mißglückte, Fürst Baniter. Denkt stets daran: das Schicksal dieser Stadt ist mit dem Eurer Familie verknüpft.«
    Nun erst begriff Baniter, daß der Pakt mit Sinustre über eine bloße Verschwörung hinausging. Es war ein Pakt mit Vara, der Stadt seiner Vorfahren, und das Rätsel, welches die alte Metropole umgab, harrte der Entschleierung.
Der Schlüssel sprengt den Stein … ich muß die Bedeutung dieser Worte ergründen, bevor es zu spät ist.
    Und wieder drehten die Flammenhüter ihre Runde; die Nacht war halb vergangen, das Öl vieler Feuerkörbe aufgezehrt. Nun füllten die Hüter sie wieder; blaue Flammen leckten an den Eisenstreben empor, und ihr Knistern klang wie ein Raunen - die Sprache der Nacht und des trügerischen Lichts.
    Eine Gegend aber mieden die Flammenhüter; sie lag in Finsternis, kein Feuerkorb baumelte in ihren Gassen. Westlich des Gorjinischen Kanals führten ausgetretene Stufen zu einem verlassenen Stadtteil hinab, den man »Das Sterbende Vara« nannte. Vor rund hundert Jahren waren die Straßenzüge nach heftigen Regenfällen in die Tiefe gesackt, vom Wasser überflutet, vom aufquellenden Lehm verschlungen worden. Unzählige waren in ihren Betten ertrunken oder im Schlamm erstickt. Seitdem wagte sich niemand hierher, nicht einmal die Kahnleute und ihre zwielichtigen Verbündeten. Modergeruch hing in den Straßen; diese waren uneben, das Pflaster mit Moos bedeckt. Die Hauswände waren weiß vor Schimmel, Schwämme wucherten auf verrottenden Fensterbänken, auf Türen und Dächern. Wo einst die Kanäle geflossen waren, stand eine zähe Brühe, umwachsen von Schilf; tagsüber zogen Mückenschwärme über das Wasser hinweg, nachts quakten Frösche ihr Lied. Nässe und Fäulnis herrschten über das sterbende Vara; eine schwärende Wunde, die jederzeit die anderen Stadtteile anzustecken drohte. Fackelschein huschte über die abwärtsführenden Stufen. Eine Gruppe von sechs Männern stieg die Treppe hinab; langsam, um nicht auf den feuchten Steinen auszugleiten. Sie trugen weite Umhänge und Lederkappen. Ihr Anführer, ein Arphater mit harschen Gesichtszügen, rümpfte die Nase, als ihm der Fäulnisgeruch entgegenschlug.
    »Bei Kubeth, diese Stadt stinkt wie ein Leichnam.« Grimmig sah er sich nach seinem Gefolge um. »Sind wir tatsächlich auf dem richtigen Weg?«
    Einer der Männer eilte an seine Seite. »Großer Ejo, die Anweisungen des Briefs sind eindeutig.« Er studierte die fleckige Pergamentrolle in seinen Händen. »Laut der Wegbeschreibung müßten wir bald die besagte Tür erreichen.«
    »Die Peitsche ist dir sicher, wenn du dich irrst.« Der Große Ejo hatte die letzte Stufe erreicht; seine Stiefel sackten in das Moospolster ein. »Wie kann man einen solchen Pfuhl in seiner Hauptstadt dulden? Diese Südländer leben wie die Mistkäfer, sie fühlen sich dort am wohlsten, wo es stinkt und dreckig ist.« Verächtlich spuckte der Schechim der Anub-Ejan auf den Boden. »Wie kann Sai'Kanee es wagen, uns in diese verkommene Gegend zu locken?«
    Seine Begleiter antworteten ihm nicht. Seit die arphatische Königin den Ehebund mit Uliman Thayrin geschlossen hatte, war Ejos Wut auf die Sitharer noch gewachsen. Die Flucht des Thronrates aus Thax hatte sein Mißtrauen genährt, der Mord an den Fürsten ihn endgültig in seiner Meinung bestätigt. Für ihn war Sithar ein abtrünniger Landesteil, das Volk ein Haufen sittenloser Gestalten und der Kaiser trotz seines zarten Alters ein Verbrecher. Um so mehr beunruhigten ihn die Vorgänge in Vara. Mehr als einmal hatte er Inthara angefleht, nach Praa zurückzukehren, auch wenn dort

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