Schattenbruch
nestelte in den blonden Haaren des Kaisers. »Von nun an soll er mein alleiniger Wächter sein; er kann mich besser schützen als ihr.«
Die Männer wirkten verunsichert. Doch ehe sie Einspruch erheben konnten, stieß der Schwan einen schrillen Ruf aus. Ulimans Blick fiel zur Flügeltür. »Seht ihr? Er spürt, wenn ein Feind sich nähert.« Er griff nach der Krone und setzte sie wieder auf sein Haupt. »Sie will mich überraschen; aber der Schwan hat sie längst gewittert.« »Es ist die Kaiserin«, rief einer der Gardisten an der Tür.
Rasch bildeten die Männer ein Spalier. Kurz darauf waren Schritte zu hören. Inthara von Arphat betrat den Thronsaal; die Königin des Reichs der Ewigen Sonne, Tochter des Sonnengottes Agihor, Gemahlin des sitharischen Kaisers. Ein Dutzend Mönche begleiteten sie, Angehörige der priesterlichen Kriegerorden: BenaSajif in blauen Waffenröcken, Anub-Ejan in gelben Gewändern, Bena-Kubith in goldbestickten Mänteln. Der Aufmarsch wirkte bedrohlich; ihre Zahl überstieg jene der kaiserlichen Gardisten.
»Ich habe meine Frau lange nicht zu Gesicht bekommen«, begrüßte Uliman die Kaiserin. Er stand vor dem Thron, so daß sein Rücken den Schwan verdeckte. »Seit Wochen hast du den Südflügel des Palastes nicht verlassen. Fürchtest du meine Nähe?«
Inthara verharrte vor dem Thron. Sie trug ein wallendes Kleid; es war aus grobem Stoff und weit geschnitten, so daß es ihre Figur kaschierte. Ihrer Schönheit tat dies keinen Abbruch; jung und stolz war ihr Gesicht, die nachtschwarzen Haare strichen über die Schultern, und ihre Haltung verriet Selbstsicherheit. »Nenne es Furcht oder Weisheit, Uliman Thayrin - die Nähe eines Herrschers, der die Fürsten des eigenen Reiches hinrichtet, ist mir zuwider. Ich ziehe es vor, aus sicherer Entfernung die Folgen deines Staatsstreichs abzuwarten.«
Uliman blickte ihr fest in die Augen. »Du hast deine Herrschaft ebenso verteidigen müssen wie ich. Als du Königin wurdest, kamen viele arphatische Würdenträger ums Leben; auch deine Geschwister, so erzählt man sich, mußten ihr Leben lassen.«
Intharas Gesicht rötete sich, und die feine Narbe auf ihrer Wange trat deutlich hervor. »Du scheinst über mich gut Bescheid zu wissen. Ja, Uliman, auch ich bestieg den Thron im Kindesalter. Ich war vierzehn, und zahlreiche Feinde wünschten meinen Untergang, da sie meinen jüngeren Bruder als König einsetzen wollten. Meine eigene Mutter wollte mich umbringen, und hätte ich ihre Ränke nicht mit dem Schwert durchtrennt, wäre ich nicht lange Herrscherin geblieben.«
»Dann verstehst du mich sicher.« Uliman lächelte. »Du verstehst, warum ich die Fürsten töten mußte. Sie hätten mich nicht auf dem Thron geduldet und bald wie meinen Vater beseitigt.«
»Ja, ich verstehe dich. Deshalb weiß ich, wie gefährlich du bist.« Inthara ließ den Kaiser nicht aus den Augen. »Auch ich haßte jene, die um meinen Thron schlichen, die mir zuflüsterten, was ich zu tun und zu lassen hatte; und als ich meine Machtfülle begriff, schaffte ich sie mir vom Hals. Doch es gibt einen Unterschied zwischen uns: Ich kämpfte um mein Leben, während du dunklen Befehlen folgst.« Sie senkte die Stimme. »Magst du auch aussehen wie ein zwölfjähriger Knabe - ich erkenne den Dämon in dir. Vom ersten Tag an habe ich gespürt, welches Unheil von dir ausgeht, selbst wenn ich nur vermuten kann, was die Priester in Troublinien mit dir angestellt haben.«
»Das kannst du auch nicht wissen.«Innere Qual verzerrte Ulimans Gesicht. »Ich hatte in Troublinien zwei Lehrmeister. Der erste war ein seltsamer Mann, der mich auf Reisen mitnahm, mir Geschichten erzählte und bunte Steine schenkte; ich habe nie verstanden, was er mir eigentlich beibringen wolle. Dann aber übernahm der Priester Rumos meine Ausbildung und machte mich zu dem, der ich bin.«
Ein zischendes Geräusch begleitete seine Worte; es drang hinter Ulimans Rücken hervor. Inthara glaubte, auf dem Thron eine Bewegung zu sehen. »Der Priester hat dich nach Vara gesandt, damit die Kirche die Macht erobern kann. Es war nicht der Wunsch nach Rache, der dich zum Mord an den Fürsten trieb - es war ein Befehl deines Lehrmeisters.«
»Was kümmert es dich, warum ich den Thronrat zerschlagen habe?«
Intharas Antwort kam rasch. »Baniter Geneder … mir wurde zugetragen, daß er noch lebt. Du hältst ihn gefangen! Sage mir, wo er sich befindet, und dann gib ihn frei.«
»Ist sein Schicksal von solcher Bedeutung für
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