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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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nichts gehört … aber ihr laßt euch kaufen von dieser Dirne … dieses stinkreiche Aas! Auf daß die Garde ihren feinen Arsch mit Pfeilen spickt … ha, ihr werdet's noch bereuen, Staker, euch mit der Schlampe aus dem Badehaus eingelassen zu haben. Die bringt nur Unglück … ich seh euch bald am Stadttor baumeln !«
    Das Licht des Feuerkorbs flackerte; dann erlosch es plötzlich. Mißmutig blickte sich der Betrunkene um. »Bei Tathril … ausgebrannt«, murmelte er, »so wie wir alle … ganz Vara dorrt dahin, jeder Funke Hoffnung verglüht.« Er rieb sich die Augen, um sie an die Dunkelheit zu gewöhnen. »Die Flammenhüter … faules Pack! Was knausern sie so mit dem Laternenöl? Kein Wunder, daß in der Nacht Mörder umherschleichen. Ich wünschte, ich könnte sie …« Ein Geräusch ließ ihn verstummen; es klang, als schleiften Ketten über das Pflaster. An der Kaimauer - dort, wo die Häuserschatten sich kreuzten - verdichtete sich die Finsternis zu einer unnatürlichen Schwärze; sie waberte wie Rauch, und das Rasseln wurde lauter, bedrohlicher.
    Der Staker richtete sich im Boot auf. »Psst … ganz ruhig … das träumst du nur … ist nur der Schnaps in deinem Schädel …« Er tastete nach der Bootsstange. Die Schatten begannen sich zu wölben, wuchsen, schoben sich über den Kahn. Über dem Staker verglühten die Sterne, das Licht der fernen Fackeln schwand. »Nein … fort! Geh fort von mir!« Das Ende der Bootsstange zischte durch die Luft. »Was willst du? Nein … nicht!« Er ließ sie fallen, riß die Hände empor. »Jetzt sehe ich dich … nein, will dir nicht folgen … kann es nicht … nicht das!« Das Boot schwankte, drohte sich zu überschlagen. Der Staker preßte beide Hände vor die Augen, warf den Kopf hin und her, wie von Sinnen; dann gruben sich seine Fingerspitzen in die Augenhöhlen, unter die Augäpfel. Blut klatschte gegen die Kaimauer, rann in den Steinrillen herab.
    Und nun sah er, sah die Herrlichkeit einer kommenden Welt. Seine Schreie verstummten, die besudelten Hände sanken auf die Bootswand herab. Blut rann von den Fingern ins Wasser, tropf, tropf - er atmete ruhig und glücklich, sein Geist von den Schatten entführt, in die Tiefe gelockt. In seinem Gesicht klafften zwei leere Höhlen, schwarze Löcher …
    »Ich wußte nicht«, flüsterte er, »wie schön sie ist, unsere Stadt.«
    So starb er.
    Ruhig schaukelte das Boot auf dem Wasser. Die Zusammenballung der Schatten löste sich auf, floß zurück in graue Dunkelheit. Stille kehrte auf dem Kanal ein; nur das Plätschern der Wellen war zu hören. In der Ferne ein erster Silberstreif; der Morgen nahte.
    Dann huschte ein Lichtstrahl über das Boot; es drang aus einer Laterne. Ein Mann war aus den dunklen Winkeln zwischen den Häusern hervorgetreten; sein Haar zottig, die Kleider verdreckt - der Schattenspieler. Er leuchtete mit der Laterne auf das Wasser, betrachtete den Leichnam des Stakers. Traurig schüttelte er den Kopf. »Die Bewohner des Verlieses sind gierig geworden«, murmelte er. »Erst töteten sie die Flammenhüter, nun greifen sie einen harmlosen Säufer an. Sie wollen sich nicht bis zur Stunde des Umbruchs gedulden. Aber diese Morde sind sinnlos und stören das Gleichgewicht.« Er hielt seine Hand vor die Laterne, formte die Finger zu einer Schattenfigur und ließ diese auf dem Gesicht des Toten tanzen. »Vier Flammenhüter in dieser Nacht und zwei in der letzten … vielleicht sollten wir dem Verlies Einhalt gebieten, Freunde. Ja, wir müssen achtgeben - müssen sehen, wie die Dinge sich entwickeln.« Er zupfte an einem Haken der Laterne. Eine Klappe bewegte sich im Inneren und löschte den Docht. »Zurück in die Dunkelheit, wo wir sicher sind! Wir brauchen Verbündete; sonst sind wir machtlos.«
    Er verschwand in der Finsternis. Zurück blieb ein Duft von Harz und Kiefernadeln; doch er verwehte bald über Varas Kanälen.

KAPITEL 4
Melodien
    Sonnenlicht verfing sich in den Harfenseiten; silbriger Glanz, der die Klänge des Instruments vorwegnahm. Behutsam strichen die Hände der Sängerin über den Holzrahmen.
    »Es ist ein schrecklicher Anlaß für ein Lied; doch ich darf mich meiner Pflicht nicht entziehen. Die dunklen Stunden der Menschheit waren stets ein Stoff für große Balladen, und so muß auch ich heute die Stimme erheben.«
    Lyndolin Sintiguren hockte auf einem Schemel, den die Priester des Agihor für sie aufgestellt hatten. Ein Fächerschirm schützte das Haupt der Sängerin vor der Sonne, die

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