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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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des Saals, flankiert von Kandelabern, deren Licht den Saal in Zwielicht tauchte. Der Thron wirkte zu groß für den Knaben; Uliman versank nahezu in den Polstern. Auch die Krone auf seinem Haupt wirkte grotesk, obwohl das Gewicht ihn nicht zu stören schien.
    »Ich muß Euch warnen, mein Kaiser. Diese Kreatur ist bösartig. Ihr Wesen widerspricht der Natur und Tathrils göttlichem Willen.« Der Priester tupfte sich den Schweiß von der Stirn. »Laßt mich den Käfig wieder mitnehmen; ich werde ihn verbrennen lassen. Es war ein Irrtum, dieses Biest nach Vara zu bringen …« »Nein.« Uliman Thayrin hatte sich erhoben. »Ich selbst befahl dir, es aus Troublinien herbeizuholen. Willst du behaupten, mein Befehl sei ein Irrtum gewesen?« Seine Stimme klang hell und kindlich, doch sein Blick ließ alle Unschuld vermissen. »Mein Lehrmeister Rumos züchtete ihn; er zeigte ihn mir in Taruba, und ich erwarb sein Vertrauen.« Uliman nahm die Krone vom Haupt und legte sie auf das Polster; dann sprang er vom Podest und legte die Hände auf den Käfig. »Rumos ermahnte mich, ihn nicht leichtfertig freizulassen, doch nun muß ich es tun. Das Verlies der Schriften wurde geöffnet.« Nachdenklich blickte er den Priester an. »Man hat gestern Nacht in der Stadt zwei tote Flammenhüter gefunden; sie lagen in einer Gasse, Schaum auf den Lippen und die Hände gegen die blutenden Augenhöhlen gepreßt. Sie hatten sich selbst geblendet, Priester.«
    Der Priester schluckte. »Es war gewiß ein Raubmord, Majestät …«
    Uliman schüttelte den Kopf. »Wenn du die Leichen gesehen hättest, würdest du anders sprechen. Die Männer haben sich selbst die Augen herausgerissen; aber sie verbluteten nicht, sondern starben aus Furcht. Sie müssen etwas Schreckliches gesehen haben.« Er lauschte dem anhaltenden Fauchen aus dem Käfig. »Die Mächte des Verlieses haben die Jagd auf mich eröffnet. Ich muß mich schützen.«
    »Laßt den Käfig geschlossen«, flehte der Priester. »Wer immer diese Morde begangen hat - man wird ihn auf andere Weise fassen. Dieses Untier aber … Rumos Rokariac beging eine große Sünde, als er es schuf. Ihr dürft es nicht freilassen!«
    Uliman hob die Hand und machte eine beiläufige Geste. Ein Ruck ging durch den troublinischen Priester; seine Fußgelenke knirschten, und von jähem Zwang erfaßt, stolperte er rückwärts zur Tür, jeder Schritt von knackenden Lauten begleitet, als splitterten die Knochen in seinen Beinen. Er brüllte vor Schmerzen; die anwesenden Gardisten verfolgten seinen Gang mit Entsetzen.
    »Geh, Priester«, sagte Uliman mit sanfter Stimme. »Ich muß mich und diese Stadt verteidigen. Rumos hat mich auf alles vorbereitet.«
    Als der Priester endlich verschwunden war, beugte sich der Kaiser erneut zum Käfig hinab. »Sei ruhig«, wisperte er. »Ich weiß, was du fühlst. Rumos hat dich mit Hilfe der Ewigen Flamme erschaffen; er nahm dir alles Reine und Lebendige und ließ dir nur den Schmerz.« Er wickelte den Draht von der Käfigspitze ab. »Wir sind Verbündete, vereint durch Rumos' Zauber. Deshalb sollst du frei sein.«
    Die Binsenstränge sanken wie Blütenblätter zu Boden. Im flackernden Kerzenlicht richtete sich ein Tier auf; ein Schwan mit majestätischen Schwingen, die er an den Körper preßte. Sein Gefieder war schwarz, schwärzer noch als Sithalit. Der Schnabel, scharf und spitz, funkelte wie Kristall; und ebenso hell glänzten die Augen. Unruhig wandte der Vogel den Kopf hin und her und betrachtete Uliman. Ein Fauchen drang aus seiner Kehle. »Still, mein Gefährte.« Uliman strich behutsam über das sich sträubende Gefieder. »Du hast eine lange Reise hinter dir. In den Mooren Troubliniens hat Rumos dich aufgezogen; nun bist du in Vara, um mir beizustehen. Unsere Feinde sind nah, ganz nah.« Er lauschte dem Fauchen des Vogels. »Die Tore des Verlieses stehen offen; Bars Balicor ist in die Tiefe hinabgestiegen, doch er ist zu schwach und kann die Schatten nicht aufhalten. Zum Glück habe ich dich … du wirst mich beschützen.«
    Der Schwan entfaltete seine Schwingen. Er stieß sich vom Boden ab und flatterte auf den Thron; dort ließ er sich nieder, reckte den Hals. Der Blick seiner Kristallaugen war entsetzlich; es ging eine Kälte von ihnen aus, die jeden im Saal frösteln ließ. Einige Gardisten zogen aus Abscheu ihre Schwerter, doch der Kaiser gebot ihnen Einhalt.
    »Er wird euch nichts tun.« Uliman stieg zurück auf das Podest; der Schwan streckte den Schnabel aus und

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