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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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gelangte schließlich zu einer Eisentür, hinter der die Ruhende Kammer lag. Seit jeher wurde sie von den Bosnickeln bewacht, denn sie barg das bedeutendste Geheimnis des Spektakels: das Tor der Tiefe, durch das der Weltenschmied die Kavernen des Rochens betreten hatte.
    Böses Gelächter, irres Kreischen: wie im Fieber tanzten die Bosnickel vor der Tür. Laghanos nahte; auf seinen Befehl hin hatten sie ihn zum Heiligtum geführt. Schon zerrten zahllose behaarte Pfoten an den Riegeln, stupsten die Tür auf, beklatschten die Ankunft des Wandelbaren.
    Vorsichtig bahnte sich Laghanos einen Weg durch die Reihen der Winzlinge, um in die Kammer zu gelangen. Sie wirkte verlassen; in einer Eisenschale brannte Feuer, warf rotflackerndes Licht gegen die Höhlenwände, die sich an der Decke in Felskaminen verloren. Quer durch die Kammer spannten sich Silber drahte; das Gefüge begrüßte Laghanos mit seinem Gesang. Inmitten der Höhle aber war ein rundes Tor in den Boden eingelassen. Eisenbolzen verschlossen es.
    »Das Tor der Tiefe«, flüsterte Laghanos. Die Maske in seinem Gesicht geriet in Bewegung, klackte wie der Schnabel eines Raubvogels. »Aus ihm kamst du, um das Spektakel zu gründen.« Er setzte einen Schritt in die Kammer. »Wohin führt dieses Tor?«
    Die Drähte lockerten sich, schnellten zur Seite und gaben den Weg frei. Laghanos lauschte ihrem Summen. »Ich soll an den Ort gehen, wo alles seinen Anfang nahm … soll das begangene Unrecht wiedergutmachen, die Rote Herrin fin den und befreien … ja, ich höre deine Befehle. Lenke meine Schritte, Drafur …«
    Hinter ihm erschallten die Hochrufe der Bosnickel. Laghanos verharrte vor dem Tor. Die Sporne seiner Maske woben komplizierte Muster in die Luft, und vor ihm huschte ein goldener Glanz über die Eisenbolzen. Langsam, wie von Geisterhand bewegt, glitten sie aus ihrer Verankerung.
    »Der Weltengang«, sprach Laghanos leise, »wann hat er be gönnen? Als ich von den Goldei aus Larambroge entführt wurde und dem Rotgeschuppten in sein Reich folgte? Als er mich zu den Höhlen von Oors Caundis brachte und ich in den unterirdischen Fluß fiel, aus dem die Bosnickel mich retteten? Als das Heilige Spektakel in mir den Auserkorenen erkannte, mein Körper mit dem Gefüge verschmolz und ich die Sphäre durchschritt? Hinter jedem Tor wartet ein weiteres … eine ewige Wanderschaft.« Es klang, als zweifelte er an dem Sinn des bevorstehenden Übertritts. Doch das Gefüge sprach ihm Mut zu.
    Dann sprang das Tor auf. Helles Licht blendete Laghanos; eine Schicht waberte über der Öffnung, schillernd wie eine Seifenblase; funkelte in kräftigen Farben, rubinrot, hellgrün, purpurn und zitronengelb. Und Geräusche drangen an Laghanos' Ohr: der Ruf eines Vogels. Das Fauchen eines Tiers. Verhaltener Wind und rauschende Zweige. Stimmen, Gelächter und leise Musik. Ja, dort unten jubelten Menschen, feierten und applaudierten oder täuschte sich Laghanos? Hörte er nur das Gekreisch der Bosnickel, die das tote Gestein des Rochens geboren hatte, um Leben nachzuäffen?
    Laghanos zwang die Maske zur Ruhe und beugte sich zu dem Tor herab. Seine Hand durchdrang die schillernde Schicht, tauchte in sie ein - und spürte die Wärme der Sonne auf den Fingerspitzen, auffrischenden Wind und Tautropfen an einem Zweig, den seine Finger zu ertasten glaubten. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Die Höhlen des Spektakels ekelten ihn plötzlich an, er konnte ihre Enge und Dunkelheit nicht mehr ertragen. Sah sich nach den Bosnickeln um, die verzückt am Eingang der Kammer umhersprangen und krakeelten - ihre Augen kalt und grün wie Edelsteine.
    Nun wußte Laghanos, daß er nicht mehr zurückkehren würde, ganz gleich, was ihn auf der anderen Seite erwartete. Zu lange war das Spektakel sein Gefängnis gewesen. Drafur hatte ihm gezeigt, wie er die Sphäre beherrschen konnte, hatte ihm Maske und Mantel geschenkt und das Heer der Beschlagenen zur Seite gestellt. Es war an der Zeit, diese Macht zu nutzen - zum Wohl der Welt, für eine neue Formung.
    Er ließ sich kopfüber durch das geöffnete Tor fallen. Die silberne Schicht zerplatzte; Farben spritzten empor und füllten die Höhle mit buntem Feuer. Die Rochengeister aber warfen die Arme empor und priesen den Wandelbaren, der nun zu dem Ort aufbrach, an dem vor Jahrtausenden der Kampf um die Sphäre begonnen hatte.

KAPITEL 8
Dämmerung
    Abendröte umfing den Dom zu Vara. Sein Turm ragte wie eine Nadel aus dem Häusermeer hervor; die silbernen

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