Schattendämonen 3 - Nybbas Blut - Benkau, J: Schattendämonen 3 - Nybbas Blut
sie wusste, dass dies unwahrscheinlich war. Die Herrin hatte ihm verboten , zu sterben , und das Gebot der Herrin stand über allem, auch über biologischen Ge setzen. Trotzdem hoffte sie, er möge einen Weg fin den. Es war kein Mitgefühl, was sie empfand, eher die vage Vermutung, dass er fortmusste , verschwinden, sterben – es war ihr egal. Nur weg musste er. Wenn sie wenigstens eine klare Vision gehabt hätte, um die Herrin mit Fakten zu warnen. Doch ihre Visionen schwiegen und Natasha wagte sich nicht nah genug an den verfallenden Körper des Nybba s’ heran, um sein Blut zu trinken und ihn genauer zu lesen. Ob er über haupt noch Blut besaß? Sein Körper sah verdorrt aus, steif und uralt. Wie ein mumifizierter Leichnam nach wenigen Wochen, in denen man ihn getrocknet hatte. Jeder Muskel verhärtet, jedes Gelenk ein Knoten unter spröder Haut.
Vielleicht machte es ihr Angst, zu sehen, wie tief man sinken konnte, wenn man sich der Herrin wider setzte. Die Brutalität verwirrte sie, bisher war ihr die Herrin immer sanft erschienen, über den Dingen ste hend. Die Herrin hatte Gewalt nicht nötig. Es fiel ihr schwer , zu erkennen, dass sie sie dennoch nutzte, wann immer ihr danach war.
Madame Lai buckelte und rieb ihr weiches Köpf chen unter Natashas Kinn. Sie schob sie rasch von ihrem Schoß. Die Herrin hatte ihr noch eine Aufgabe erteilt. Besser, sie erfüllte sie schnell.
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Nicholas hatte gedacht, es würde ihm leicht fallen zu sterben, wenn er erst zurück in seiner Zelle aus Dun kelheit war. Sie hatten nichts verändert, alles war wie vor seiner Flucht. Der Boden war voller Glassplitter und Fußspuren aus geronnenem Blut, das er riechen konnte. Irgendwo dazwischen lag seine letzte Mahl zeit. Die Dunkelheit schien eine zähe Masse, die ihn in sich einschloss, ihn einquetschte. Der einzige Un terschied war, dass er nun wusste, welche Aussicht eine Flucht hatte: überhaupt keine.
Er war kein Mann dramatischer Abschiede und genau das machte es so schwer. Sein ganzes Leben lang war ihm klar gewesen, wie er sterben würde – im Kampf. In einem Moment hat man noch alle Chan cen, seinem Gegner durch einen geschickten Schlag den Kopf von den Schultern zu holen und im nächs ten merkt man: Dreck, der war tatsächlich besser als ich. Und dann stirbt man. Kein Drama, kein Gejaule, keine große Sache. Bloß ein toter Dämon, sauber und fair umgebracht. That’s life.
Ironie des Schicksals, dass er j ahrhundertelang ge dacht hatte, Lorenna wäre so gestorben. Hatte er sie überhaupt gekannt? Wie viel von dem, wofür er sie gehasst oder geliebt hatte, war in Wirklichkeit der Luzifer gewesen?
Er hatte nie angenommen, dass man naive Wunsch träume vom Sterben haben konnte, aber als solche entpuppten sich seine Vorstellungen. Die Wahrheit war anders. Voller Zweifel. Voller Schuld. Tue ich es, tue ich es nicht? Habe ich eine andere Wahl? Kann ich warten oder werde ich morgen schon einbrechen und Jo verraten? Gibt es eine Alternative? Muss ich war ten? Dreck – tue ich das Richtige?
Er hasste Zweifel; hasste sie mit aller Gewalt, zu der er fähig war.
Wie oft hatte er etwas getan , ohne darüber nach zudenken, nur um Zweifel nicht erst zuzulassen. Und Reue? Wenn Lorenna bereuen konnte – warum bereu te er dann nicht? Es war absurd, dass genau diese Frage ihn nun zurückhielt. Er würde nichts mehr be reuen können, wenn er es tat. Er würde die Möglich keit, Reue zu erlernen, mit sich töten. Allerdings zählte Reue auch nicht zu den Gefühlen, um die jene sich rissen, die dazu fähig waren. Wenn es darauf hin auslief, dass er bereuen würde, Joana durch seine Feig heit zu verraten, dann wollte er nicht wissen, was Reue war.
Die Erinnerung an die Jahre im Bann tastete mit ihrem klebrigen Fingern über seine Haut. Er konnte diese dunkle Luft kaum atmen, sie war voller Panik und vergiftete ihn mit Angstzuständen. Quälend lang sam versickerten seine klaren Gedanken wieder in der Furcht, wurden trübe, wirr und ohne logischen Zu sammenhang. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er sich wieder in dem Zustand befand, den der Bann vor vielen Jahren in ihm ausgelöst hatte. Er hatte damals den Verstand verloren und hätte alles getan, um end lich aus seinem Sarg zu entkommen. Er fragte sich, ob er seine Liebe verraten hätte. Es gab nur eine Ant wort: Ab einem bestimmten Punkt wären sämtliche Gefühle der Liebe jämmerlich erstickt und in Verges senheit geraten. Er hätte alles und jeden verraten.
So weit
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