Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
eine Gruppe von Personen, zwei zu Fuß und drei zu Pferd, die sich über die Straße Micklins Dorf näherten.
Obwohl die nahende Gruppe noch zu weit entfernt war, um die Gesichtszüge deutlich unterscheiden zu können, erkannte De’Unnero sofort, dass es sich nicht um einen der Jagdtrupps handelte, denn keiner seiner Mitbewohner hatte das Dorf zu Pferd verlassen. Vorsichtig rollte er sich über die Dachkante, hielt sich am oberen Mauerrand fest und ließ sich leichtfüßig zu Boden fallen. Es geschah nicht oft, dass Fremde sich in diese Abgeschiedenheit verirrten, und wenn doch, befanden sie sich eher auf der Flucht, als dass sie ein bestimmtes Ziel vor Augen hatten.
De’Unnero streifte ein ärmelloses Hemd über und nahm sein Stirnband ab, während er sich gemächlich der den Fremden zugewandten Dorfseite näherte. Beim Gehen wanderten seine Augen von einer Seite auf die andere und prüften das Gelände, immer auf der Suche nach möglichen Fluchtwegen, günstigen Verteidigungspositionen oder gar weiteren Fremdlingen, die sich als Vorhut vielleicht schon in das Dorf geschlichen hatten.
Kurz darauf hörte er Gesang – von einem der Reiter, wie er erkannte. Lässig hockte der Barde im Sattel des in der Mitte gehenden Pferdes, klimperte auf einem dreisaitigen Instrument herum und sang dazu von fernen Kämpfen gegen mächtige Drachen. De’Unnero musste zugeben, dass er ein recht guter Sänger war; das, sowie der Umstand, dass die Gruppe sich so offen zeigte, ließ ihn hoffen, dass es keine nichtsnutzigen Herumtreiber waren, mit denen man nichts als Ärger haben würde.
»Die Drachenaugen, sie schimmerten gülden«, sang der Barde. »Sein feuriger Atem züngelte am Holz; doch flinker noch war Traykles Schwert, das zum Erlöschen bracht’ sein’ Stolz.«
Es war »Die Ballade von Traykle Chaser«, wie De’Unnero jetzt bemerkte, ein ziemlich bekanntes altes Lied über einen sagenumwobenen Drachenjäger, der im Norden Alpinadors dem Winter getrotzt hatte, um Rache an einem riesigen Drachen zu nehmen, der Traykles Grenzdorf in Schutt und Asche gelegt hatte. De’Unnero hatte in der Bibliothek von St. Mere-Abelle mehrere unterschiedliche Versionen des Liedes gefunden und oft gehört, wie es von Dorfbewohnern gesungen wurde, die am Markttag in die Abtei gekommen waren. De’Unneros Misstrauen wurde erneut geweckt, denn für einen fahrenden Barden war es seiner Ansicht nach eine ziemlich schlichte Weise.
Vielleicht wollte der Reiter nur, dass irgendwelche sich zufällig in der Nähe aufhaltenden Dorfbewohner glaubten, er sei ein fahrender Musikant.
Noch immer unbemerkt, nahm De’Unnero die Gruppe der Reisenden genauer unter die Lupe und versuchte aus der Art, wie sie zu Pferde saßen und marschierten, Rückschlüsse auf die Stärke dieses Trupps zu ziehen. Ein geübter Krieger hatte einen leichteren und geschmeidigeren Gang, ein primitiver Schurke dagegen ging oft so, als wollte er den Boden mit jedem Schritt gerade misshandeln. Und genauso verhielt es sich bei den beiden zu Fuß: Der eine war ein bärenhaft-plumper Kerl, dessen kahler Schädel hell in der Sonne glänzte, der andere ein untersetzter Bursche mit nichts sagendem Gesicht und rötlichem Haar, was auf eine Herkunft aus dem Grenzgebiet hindeutete. Beide trugen schwere Waffen über ihren Schultern; eine Axt der Fettleibige, einen endlos langen Speer der andere. Einer der Reiter wirkte keinesfalls vornehmer, ein hoch gewachsener Kerl mit langem, schwarzem Haar, dem mehrere Zähne fehlten; sein Schwert dagegen, das er deutlich sichtbar in einem Gurt an seiner Hüfte trug, schien De’Unnero eine erheblich elegantere und gefährlichere Waffe zu sein. Die beiden übrigen, darunter der Barde, machten in puncto Kleidung und Reinlichkeit einen etwas gediegeneren Eindruck; beide trugen das Haar kurz geschnitten und waren rasiert. Einer war von durchschnittlichem Wuchs, etwa so groß wie De’Unnero, und führte einen über seiner Schulter hängenden Kurzbogen sowie einen vorne am Sattel befestigten, stets griffbereiten Pfeilköcher mit. Der andere, der Sänger, war ein geradezu zierliches Kerlchen mit Falsettstimme und hellbraunen Augen, die umso heller glänzten, sobald er sein strahlendes, heiteres Lächeln sehen ließ. Soweit De’Unnero erkennen konnte, war er gänzlich unbewaffnet, was ihn in den Augen des kampferprobten ehemaligen Mönchs zum Gefährlichsten von allen machte.
Mittlerweile waren sie bei den ersten Häusern angelangt, und da sie noch immer
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