Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
wird Euren Plänen vermutlich zustimmen, denn auch ich bezweifle, dass er Jilseponie diese Chance verwehren wird. Und wenn wir mit diesem Pfund wuchern, könnte uns das auf Dauer ein Bischofsamt in Palmaris einbringen. Tatsächlich wird der Gewinn für die Kirche selbst ohne ihren Verbleib im Amt beträchtlich sein, denn allein die Verbindung zu Jilseponie wird die Liebe des gemeinen Mannes zur Kirche ungeheuer stärken. Und nein, Meister Bou-raiy, ich halte das keineswegs für verwerflich. Es macht mir aber Angst, meine Freunde auf diese Weise zum Vorteil anderer auszunutzen. Denn was immer Ihr auch anführt, in Wahrheit wird der Gewinn für Jilseponie gering ausfallen. Die kirchliche Seite des Bischofsamts, als Äbtissin von St. Precious, wird ihr wenig echte Macht eintragen, und sie wird sie gänzlich verlieren, sobald sie dieses Amt aufgibt, um an den Hof von Ursal zu gehen. Nein, der Titel Bischöfin wird für Jilseponie null und nichtig sein, ein Titel, dem jede wahre Macht genommen wird, sobald sie Palmaris verlässt.«
Fio Bou-raiy fing lauthals an zu lachen, noch bevor Braumin den Gedanken zu Ende führen konnte. »Sie wird Palmaris verlassen, um Königin zu werden!«, hielt er dagegen. »Im Übrigen gewichtet Ihr die Situation falsch. Popularität bedeutet Macht, mein Freund, das ist die schlichteste Wahrheit allen Seins, die alle Unbeliebten mit großem Aufwand und trotzdem vergeblich in Verruf zu bringen versuchen. Sowohl innerhalb von Palmaris als auch außerhalb wird Jilseponie mühelos allein kraft ihres Wortes sehr viel Macht und Einfluss ausüben können. Möglicherweise wird sie eines Tages Königin, und wenn wir klug und geschickt vorgehen, wird sie selbst dann ein Mitspracherecht in der Kirche behalten. Ich möchte ihre Popularität und ihre Gunst bei König Danube nicht benutzen, um sie anschließend fallen zu lassen – ganz im Gegenteil, denn dann läge der Verlust allein bei uns. Nein, mein Freund, ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass Jilseponie ein Mitspracherecht in der Kirche verdient hat, als Bischöfin, wenn wir das durchsetzen können, und anschließend darüber hinaus. Vielleicht beinhaltet ihre Rolle als Königin eine Machtposition innerhalb von St. Honce in Ursal – eine Ernennung zur obersten Ordensschwester, vielleicht sogar eine Ernennung zur Äbtissin –, denn diese von Sorgen geplagte Abtei ist gewiss nicht gerade mit einem Übermaß an qualifizierten Ordensbrüdern gesegnet!«
In diesem Augenblick hätte Meister Bou-raiy Abt Braumin mit einer Feder umstoßen können, so verblüfft war dieser. Immer wieder kreisten seine Gedanken um Bou-raiys soeben enthüllte Pläne, denn sie ergaben für ihn beinahe keinen Sinn. Selbst nach den Offenbarungen des Bundes von Avelyn, selbst nachdem die Kirche dazu übergegangen war, Avelyn Desbris und seine Anhänger als wahre Abellikaner anzuerkennen, hatte Fio Bou-raiy kaum etwas unternommen, was echte Veränderungen in der verkrusteten Machtstruktur bewirkt hätte. Wann immer die Sprache darauf kam, Jilseponie als mögliche Kandidatin in die Kirche zu locken – außer als Leiterin der Abtei St. Gwendolyn, die traditionell von Frauen geführt wurde –, hatte Bou-raiy ablehnend reagiert. Und jetzt saß er hier und drängte geradezu darauf, die Frau fest an die Kirche zu binden.
»Es wird das erste Mal sein«, fuhr Bou-raiy fort, »dass man der Königin des Bärenreiches ein Mitspracherecht im nächsten Abtkollegium gewährt, welches, das versichere ich Euch, angesichts des fortgeschrittenen Alters Vater Agronguerres und seiner nachlassenden Gesundheit schon bald einberufen werden wird.«
Ein Mitspracherecht im Kollegium?, fragte sich Abt Braumin im Stillen. Oder ein Stimmrecht im Kollegium? Welche Beute hatte sich Fio Bou-raiy in Wahrheit mit seiner Reise nach Palmaris sichern wollen? Wollte er alte Wunden heilen, um sich Verbündete bei der nächsten Wahl zum ehrwürdigen Vater zu verschaffen? Aber wenn das der Fall war, warum sollte er dann ein Mitspracherecht für Jilseponie wollen?
»Wäre Euch, Meister Fio Bou-raiy, der Ihr Euch zum ehrwürdigen Vater wählen lassen wollt, nicht besser damit gedient, wenn Jilseponie nicht im Kollegium säße?«, fragte ihn Braumin auf den Kopf zu. »Es ist bekannt, dass sie anderen aus der Kirche den Vorzug gibt.«
Beherrscht wie immer, zeigte Fio Bou-raiy kaum eine Regung, immerhin aber genug – ein Aufblitzen seiner grauen Augen –, dass Abt Braumin wusste, seine Direktheit hatte den
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