Schattenelf - 2 - Das Turnier
im Vergleich zu den ursprünglichen Einwohnern von Dundalis und den anderen Ortschaften im Grenzgebiet kaum verändert. Durch Notwendigkeit eng verbunden und auf vertrauensvollem Fuß mit ihren Nachbarn, hatten die Bewohner von Dundalis vor allem dank ihres Zusammengehörigkeitsgefühls überlebt; daher wurden Aydrian mit seinen Fähigkeiten als Spurensucher, De’Unnero mit seinem handwerklichen Geschick und Sadye mit ihren unterhaltsamen Liedern schon bald zu einem festen Bestandteil der Gemeinschaft.
Dort oben im hohen Norden, in einer dunklen Nacht im tiefsten Winter, wurden die drei Zeugen eines seltenen Anblicks: der Kalo, die spektakulären vielfarbigen Ringe Koronas, erstrahlte majestätisch am nächtlichen Himmel, in einer irrealen, übernatürlichen Schönheit, die die Grenzen alles Irdischen zu sprengen schien. Für De’Unnero und Sadye kam dieser Anblick einer spirituellen Erfahrung gleich, die dem ehemaligen Mönch als Bestätigung dafür diente, dass er trotz der Übergriffe des Wertigers weder in St. Mere-Abelle noch bei Gott in Ungnade gefallen war. Auf Aydrian hatte der Halo eine sehr viel verwirrendere Wirkung; er schien ihm beweisen zu wollen, dass es vielleicht doch noch etwas Wichtigeres und Größeres gab als seine sterbliche Hülle und sein zeitlich begrenztes Dasein. Der junge Mann hatte sich längst ganz eigene Theorien zur Unsterblichkeit zurechtgelegt, daher hatte dies, vor allem nach seinem Zusammentreffen mit den Toten, eine seltsam beunruhigende Wirkung auf ihn.
Aber auch sonst wurden die Nächte in Dundalis zur Kulisse für scheinbar mystische Geschehnisse: Musik, berückend und melancholisch, wehte mit der abendlichen Brise heran. Oft saßen die drei einfach nur da und lauschten den fernen Klängen. De’Unnero glaubte als Einziger von ihnen zu wissen, woher sie stammten, und der ehemalige Mönch war alles andere als erfreut, auf diese Weise zu erfahren, dass dieser niederträchtige Bradwarden noch immer in den Waldlanden hauste.
Er spielte mit dem Gedanken, in seiner Tigergestalt loszuziehen und mit dem Zentaur zu kämpfen, schlug sich das jedoch rasch wieder aus dem Kopf. Denn der stets zweckmäßig denkende De’Unnero war sich darüber im Klaren, dass er, wenn er Bradwarden angriff, ohne ihn zu töten, andere, vor allem Jilseponie, darauf aufmerksam machen würde, dass er noch unter den Lebenden weilte. Und in Anbetracht des familiären Hintergrunds seines jüngsten Begleiters wäre das alles andere als vorteilhaft.
»Du weißt, woher das kommt«, sagte Sadye eines Abends zu ihm, als das Flötenspiel in ihre kleine Hütte drang.
»Kann schon sein«, erwiderte De’Unnero. »Vielleicht aber auch nicht. Es ist nicht weiter wichtig.«
»Ich würde den, der da spielt, gern kennen lernen.«
»Kommt nicht in Frage«, blaffte De’Unnero, lächelte dann aber schnell, um die Stimmung wieder zu entspannen. »Der Waldgeist, wie er genannt wird, beglückt die Waldlande schon seit Jahrzehnten mit seinem Flötenspiel«, erläuterte er, und dieser Teil seiner ausweichenden Antwort entsprach durchaus der Wahrheit. »Es heißt, er sei halb Mensch, halb Pferd.«
Sadyes Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Dann ist es also Bradwarden«, folgerte sie mit einem verschmitzten Lächeln.
De’Unnero wusste, er war ertappt – es war unmöglich, Sadye hinters Licht zu führen. »Mag sein«, räumte er ein. »Ein Zusammentreffen wäre also bestenfalls verhängnisvoll.«
Nickend bekundete Sadye, dass sie verstand und ebenso dachte. »Ich würde ihm trotzdem liebend gern einmal über den Weg laufen«, sagte sie leise und rutschte näher an De’Unnero heran, damit er seine kräftigen Arme um sie legen konnte.
»Ich auch«, antwortete der ehemalige Mönch leise, der im Gegensatz zu Sadye wusste, dass seine Freude über ein Zusammentreffen mit dem lästigen Zentaur ganz anderer Natur sein würde.
Und noch ein anderer Ruf drang in diesen langen, dunklen Nächten bis zu ihnen – oder zumindest bis zu Aydrian.
»Dort draußen ist etwas«, sagte er eines Abends gegen Ende des Winters zu seinen beiden Gefährten. »Es ruft mich.«
De’Unnero warf Sadye einen Blick zu. Die beiden taten gut daran, ihre Bestürzung zu verbergen, denn natürlich dachten sie, der Junge spreche von Bradwarden oder vielleicht von einem anderen früheren Freund seines verstorbenen Vaters.
»Und was ist es?«, hakte Sadye nach.
»Ich weiß es nicht«, gestand Aydrian. »Ich weiß nur, dass es mich ruft –
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