Schattenelf - 5 - Die Unterwerfung
Gemütszustand nicht schlüssig zu Ende denken.
Aydrian lebte.
Und er war König, ein unrechtmäßiger König. Darüber hinaus war er im Bunde mit De’Unnero und hatte offenbar dieselbe Gesinnung wie dieser zutiefst verhasste Mann.
Das allein zählte.
Die Kutsche hielt mit einem Ruck; erst in diesem Augenblick bemerkte Jilseponie, dass der Straßenbelag von Staub in Kopfsteinpflaster übergegangen war und dass die Felder am Wegesrand belebten Straßen, die Bauernhäuser Ladengeschäften und Gaststätten gewichen waren. Der Schlag wurde aufgerissen und ihr Fahrer, ein älterer Mann mit sympathischen Augen, reichte ihr die Hand.
»Wir sind da, Mylady Jilseponie«, sagte er voller Mitgefühl.
Palmaris. Die Stadt, in der sich Jilseponie den größten Teil ihres Lebens heimisch gefühlt hatte. Hier hatte sie nach jener Katastrophe, die zur Zerstörung des weiter nördlich gelegenen Dundalis geführt hatte, Zuflucht gefunden. Hier hatte sie ihre Ersatzfamilie gefunden, die Chilichunks. Hier hatte sie geheiratet, auch wenn ihre Ehe ein abruptes und schlimmes Ende genommen hatte. Und hier hatte sie als Baronin geherrscht, hier hatte sie Freunde, die der Abtei St. Precious vorstanden, und hier war Elbryan ums Leben gekommen, bei ihrem gemeinsamen Sieg über den Dämon, der von Markwart Besitz ergriffen hatte. Jilseponie bewegte sich wie im Traum, als es sie aus der Kutsche nach draußen auf die Straße zog. Ihre gegenwärtige Kleidung war eher bescheiden – nichts an ihr erinnerte an die der Königin des Bärenreiches angemessenen Gewänder –, weshalb sie bei den Leuten, die sich durch die belebte städtische Prachtstraße schoben, auch keinerlei Aufmerksamkeit erregte.
Jilseponie blickte sich bedächtig um und nahm die Bilder der ihr so vertrauten Stadt in sich auf. Drüben, auf der anderen Seite des weitläufigen Platzes, erhob sich St. Precious, das größte Gebäude der Stadt, ein himmelstrebendes Bauwerk, dessen steinerne Mauern Tausenden Obdach zu bieten vermochten und in dem einhundert Ordensbrüder unter der Führung von Bischof Braumin Herde untergebracht waren.
Die Erinnerung an ihren Freund zog Jilseponie geradewegs zur Kathedrale, zuerst noch langsam, dann aber verfiel sie in einen leichten Trab und hielt auf die Eingangstür zu.
»Scheint so, als hätte die Frau es dringend nötig, was für ihr Seelenheil zu tun«, sagte ein Passant im Vorübergehen zu dem alten Kutscher, der zusah, wie sie im Innern der Kathedrale verschwand.
»Ihr ahnt ja nicht, wie Recht Ihr habt«, erwiderte der Kutscher gedankenverloren, ehe er mit einem Seufzer wieder auf seinen Bock kletterte und seine Kutsche wendete, zurück auf die Straße nach Süden und nach Ursal. Er hatte ausdrücklich Order erhalten, sich weder an Bischof Braumin noch an einen der anderen Stadtoberen zu wenden. Er fand es zwar ein wenig seltsam, dass kein offizieller Abgesandter von Ursal aus vorausgeschickt worden war, andererseits war er mit der Geschichte der Stadt vertraut genug, um zu ahnen, welches Motiv sich hinter der Heimlichtuerei verbarg.
König Aydrian und vor allem De’Unnero hatten die Absicht, ihr Kommen höchstpersönlich anzukündigen.
»Nur wenige, wenn überhaupt, werden es wagen, Euch offen Widerstand zu leisten«, sagte Aydrian an Herzog Kalas gewandt, als die beiden sich zusammen mit Marcalo De’Unnero, Abt Olin sowie einigen anderen Befehlshabern um den großen Kartentisch versammelt hatten. Vor ihnen ausgebreitet lag eine Karte des Bärenreiches, auf der die derzeit von Aydrian kontrollierten Gebiete, insbesondere jener südliche Landstrich zwischen Ursal und Entel, rot schraffiert waren genau wie er es beim Orakel gesehen hatte.
»Und erst recht wird es niemand wagen, sich gegen meine Allhearts zu stellen«, sagte Herzog Kalas.
Marcalo De’Unnero bedachte ihn mit einem Schmunzeln, ein leiser Spott über sein übertrieben stolzes Gebaren. »Vielleicht nicht in aller Offenheit«, korrigierte der Mönch. »Der Schlüssel unseres Sieges wird sein, dass wir einen offenen, unverfälschten Blick in die Herzen der Menschen werfen, nachdem Ihr durch ihre Region marschiert seid. Werden sie König Aydrian akzeptieren? Und wenn nicht, wie stark ist ihr Hass? Stark genug, um die Waffen gegen ihn zu erheben?«
»Die meisten werden tun, was man ihnen befiehlt«, beharrte Abt Olin. »Wir kennen das alles doch schon von unserem Marsch auf Entel. Den Leuten ist es ziemlich gleichgültig, wer auf dem Thron sitzt, solange sich der
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