Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
größeren Schiffe wurden mit einem zweiten oder dritten Anker ausgerüstet, damit sie sich in den drohenden Winterstürmen nicht losreißen konnten.
Und damit waren keineswegs die für Palmaris üblichen Stürme gemeint. Wer die Vorbereitungen genau verfolgte, Kenntnisse der Region besaß und über seemännische Erfahrung verfügte, musste recht schnell zu der Schlussfolgerung gelangen, dass viele dieser Kriegsschiffe schon in Kürze auslaufen würden, und zwar mit Kurs nach Norden, in den Golf von Korona.
Und auf dieser Reise würden sie ihre Besatzungen erheblich aufstocken – mit Soldaten.
In einem kleinen Steinhaus unweit des Kais – eigentlich das Gebäude, das der Abtei St. Precious als Verbindungsstelle für diese Region diente und das Marlboro Viscenti bei seiner heimlichen Flucht aus der Stadt unmittelbar vor Aydrians Ankunft benutzt hatte – hatten sich sieben Mönche eingefunden, um einer außergewöhnlichen Vorführung eines außergewöhnlichen Mannes beizuwohnen.
König Aydrian hatte mitten unter den Ordensbrüdern Platz genommen, einen Hämatit in der einen und einen Grafit in der anderen Hand.
»Dieser Stein«, erläuterte er soeben und hielt den Hämatit in die Höhe, »kann Euch als Verbindung zu dem anderen Stein dienen. Sobald Ihr Euch des meditativen Zustandes bedient, den Euch der Seelenstein ermöglicht, werdet Ihr leichteren Zugang zu den Kräften des zweiten Steins erhalten.« Um seinen Ausführungen zusätzliches Gewicht zu verleihen, hielt der junge König beide Steine vor sein Gesicht, schloss die Augen und sandte einen elektrischen Stromstoß aus. Die Ordensbrüder waren vor Überraschung wie gelähmt, und einige warfen sich sogar erschrocken auf den Boden.
Verhaltener Protest wurde laut, den Aydrians Gelächter rasch wieder zum Verstummen brachte.
Eigentlich hatte Aydrian zu einer Erklärung ansetzen wollen, zog es dann aber vor, ihnen einen weiteren elektrischen Schlag zu versetzen, und gleich darauf noch einen dritten. Dabei bog er sich vor Lachen – wie mittlerweile auch die meisten Ordensbrüder. De’Unnero hatte ihm geholfen, eine Gruppe der treuesten und ehrgeizigsten abellikanischen Konvertiten auszuwählen, und die Verheißung künftiger Macht erstickte sämtliche Proteste im Keim, ehe sie sich recht Gehör verschaffen konnten.
»Es ist geradezu lächerlich einfach«, fuhr der junge König schließlich fort. Das stimmte nicht wirklich, denn die Handhabung würde den Ordensbrüdern nicht so leicht fallen wie ihm, der die tiefsten Geheimnisse der Edelsteine von seinem Schattenmentor beim Orakel gelernt hatte. Hätte er einen Augenblick daran geglaubt, dass diese Ordensbrüder auch nur annähernd seine Macht und Leichtigkeit im Umgang mit den Edelsteinen erreichen würden, hätte er das Geheimnis gewiss für sich behalten.
Aydrian geleitete die sieben durch die Hintertür des Gebäudes hinaus auf eine schmale Gasse, die er seine Soldaten hatte abriegeln lassen. Dort ließ er sie, einen nach dem anderen, mit den Edelsteinen arbeiten und Lichtblitze durch die Gasse schleudern.
Die meisten Versuche, musste Aydrian erkennen, endeten wahrhaft kläglich. Trotzdem ermunterte er sie, es immer wieder aufs Neue zu versuchen, denn ein Umstand machte ihm Mut: Alle sieben zeigten selbst nach ausgiebiger Anwendung von Magie kaum Zeichen der Ermüdung, was zumindest bewies, dass seine Technik im Umgang mit dem Seelenstein es ihnen erleichterte, sich mit dem Grafit vertraut zu machen.
Während der Übungsstunde versenkte sich Aydrian mehrfach in seinen Seelenstein, verließ die sterbliche Hülle seines Körpers und begab sich zu dem jeweils übenden Mönch. Nicht etwa, um in den Betreffenden einzudringen und Besitz von ihm zu ergreifen, sondern um eine Art spiritueller Verbundenheit vorzutäuschen und den Mönch auf seiner Reise vom Seelenstein zum Grafit gleichsam an die Hand zu nehmen.
Kurze Zeit später lenkte der Lärm zweier ganz in der Nähe streitender Personen den jungen König von seiner Arbeit ab. Aydrian erkannte die Stimmen augenblicklich und war keineswegs überrascht.
Er ließ die jungen Mönche allein weiterüben, verließ die Gasse und kehrte in das Steinhaus zurück, wo Marcalo De’Unnero und Graf DePaunch in eine hitzige Debatte verstrickt waren.
»Das ist doch Wahnsinn!«, empörte sich De’Unnero. »Der Golf darf unter keinen Umständen so spät im Jahr befahren werden, erst recht nicht, wenn wir dadurch so viel verlieren und nur so wenig gewinnen
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