Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
Flüstern. »Du und ich, wir wissen beide, wie verlockend Macht und Gefahr sein können. Wir wissen beide, dass man sich nur am Rande der Katastrophe wirklich lebendig fühlt.«
Sadye blinzelte mehrmals, und ihr Atem ging schneller. Aydrian spürte den heißen, von der aufwallenden Hitze in ihrem Innern durchdrungenen Hauch auf seinem Gesicht. Er sah das Blitzen in ihren dunklen Augen, ein intensiver Blick, geboren aus dem glühenden Verlangen, das jeden Moment in ungezügelte Leidenschaft umzuschlagen drohte.
Er wollte, dass sie seinen Duft und Atem aufsog, dass sie die Anziehungskraft seines Körpers spürte, und beugte sich ein wenig näher zu ihr.
Ihre Brust hob sich immer schneller. Allen Warnungen ihres gesunden Menschenverstandes zum Trotz fühlte sie sich zu ihm hingezogen.
»Ich werde im Rat erwartet«, sagte Aydrian unvermittelt, trat einen Schritt zurück und zerstörte damit den Zauber des Augenblicks. Er wollte Sadye, er wollte sie unbedingt. Obwohl er die Liebe einer Frau bislang noch nicht kennen gelernt hatte, verstand er deren Verlockungen. Er sah sie in den durchdringenden Blicken dieser Frau und spürte sie in der Hitze, die ihr Körper verströmte.
Aber jetzt noch nicht. Nicht, solange das Ziel, dem sich De’Unnero am meisten verpflichtet fühlte, noch in so weiter Ferne lag. Er würde De’Unnero die abellikanische Kirche als Gegenleistung für Sadye anbieten, und der würde sich darauf gewiss einlassen. Außerdem wusste Aydrian, dass er Sadye geradezu verrückt vor Verlangen machte, und dieses Gefühl wollte er noch etwas auskosten. Er wollte abwarten, bis ihre Lust sich derart steigerte, dass sie ihn anflehte, sie endlich zu nehmen.
Mit einem Blick, leidenschaftlicher als alles, was Sadye jemals gesehen hatte, machte Aydrian kehrt und verließ den Raum – nicht ohne sich noch einmal umzusehen, allerdings nur ein einziges Mal.
Sadye zitterte am ganzen Körper.
Der Gedanke an sie verfolgte Aydrian auf seinem Weg von Chasewind Manor quer durch Palmaris – bis zu dem Haus unweit des Nordtores der Stadt, wo das Treffen stattfinden sollte. Dort fand er De’Unnero, Kalas sowie sämtliche nicht mit den Vorbereitungen an den Kais beschäftigten Kommandanten um einen Tisch versammelt vor, auf dem eine Karte des Bärenreiches ausgebreitet lag.
Aydrian trat an den Tisch, schob sich zwischen De’Unnero und Kalas und studierte die Karte aufmerksam. Dabei galt sein Interesse besonders den Stellen, die man zum Zeichen, dass man sie als sicher unter seiner Kontrolle betrachtete, rot schraffiert hatte: das gesamte Königreich südlich Caer Tinellas am Westufer des Masur Delaval sowie die gesamten Südlande, quer durch Yorkey bis hin nach Entel. Vor allem die erst vor kurzem platzierten Pfeile erregten seine Aufmerksamkeit, Pfeile, die benutzt wurden, um die geplante Richtung eines künftigen Vormarschs anzuzeigen. Einer von ihnen zeigte aus der Mündung des Masur Delaval auf Pireth Dancard und gab damit DePaunchs Kurs an, während ein zweiter, von Palmaris ausgehend, quer über den Fluss nach Südosten wies, in die ungefähre Richtung Entels.
»Macht bitte weiter«, forderte Aydrian die Anwesenden auf. Er wusste, dass die Kommandanten ihr Gespräch nur unterbrochen hatten, um ihm Gelegenheit zu geben, sich einen Überblick über die Karte zu verschaffen.
Kalas sah zu De’Unnero und bedeutete ihm, in seinen Überlegungen fortzufahren. Prompt beugte sich der Mönch über den Kartentisch und verschob den nach Südosten weisenden Pfeil auf eine direkter nach Osten zeigende Position, sodass seine Spitze von Entel auf einer geraden Linie nach St. Gwendolyn wies, die größte Abtei in der Mantis-Arm-Region des Königreiches.
Nach kurzem Zögern erklärte Kalas: »Ihr lauft Gefahr, Widerstandsnester hinter unseren Linien zurückzulassen. Zurzeit haben wir noch nicht alle Städte südlich dieser bis zum Mirianischen Ozean führenden Linie in unserer Gewalt. Prinz Midalis verfügt dort über treue Anhänger.«
»Je länger wir warten, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass in diesen Widerstandsnestern eine offene Revolte ausbricht«, konterte De’Unnero. »Wenn wir sie im Norden umgehen, sind diese ungesicherten Städte isoliert, und die Menschen dort werden einsehen, wie unsinnig ihr Widerstand wäre.«
»Warten?«, warf einer der Fürsten auf der anderen Seite des Tisches ein. »Habt Ihr nicht selbst zu Geduld gemahnt und Euch gegen eine Entsendung von Graf DePaunch nach Pireth Dancard
Weitere Kostenlose Bücher