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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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verletzte. »Ich spiele doch nur ein Spiel, Achamian… Aber es enthält manche Wahrheit.« Von innerem Aufruhr verzehrt, hatte er im Dunkeln gelegen und gespürt, dass er sich – wenn er seine Schmerzen so deutlich zeigen könnte wie sie – auflösen und zu Staub zerfallen würde. Das ist kein Spiel. Inrau ist tot. Tot!
    Warum konnte sie nicht… so sein, wie er sie brauchte? Warum hörte sie nicht endlich auf, mit anderen Männern zu schlafen? Er hatte doch Geld genug, um sie zu versorgen!
    »Von dir nehme ich nichts, Drusas Achamian!«, hatte sie einmal geschimpft, als er sie hatte bezahlen wollen. »Ich spiel für dich doch nicht die Hure!« Diese Worte hatten ihn zugleich erschüttert und in Hochstimmung versetzt.
    Als er einmal aus der Taverne zu ihr zurückgekehrt war und sie nicht in ihrem Fenster hatte sitzen sehen, hatte er es – von schändlicher Neugier getrieben – gewagt, sich hinauf bis vor ihre Tür zu schleichen. Wie mag sie sein, wenn sie mit anderen zusammen ist? So wie mit mir? Oder ganz anders? Er hatte sie unter einem grunzenden Kerl keuchen, hatte das Bett rhythmisch quietschen hören können. Da war ihm gewesen, als wollte sein Herz nicht mehr schlagen. Seine Haut war feucht, und ihm klangen die Ohren.
    Er hatte seine tauben Fingerspitzen an die Tür gelegt. Dort, auf der anderen Seite… dort lag seine Esmi, hatte die Beine breitgemacht und ließ sich von einem Hansdampf besudeln!
    Aber sie gehörte ihm ja auch nicht. Vielleicht hatte er das damals zum ersten Mal begriffen. Und dennoch zugleich gedacht: Inrau ist tot, Esmi. Du bist alles, was ich noch habe.
    Er hatte den Freier absteigen und Esmi sagen hören: »Respekt, Callustras – für einen alten Soldaten bist du sehr gut zu Fuß.«
    Ihr Kunde hatte geschmeichelt gelacht und dann gefragt: »Sag mal, Esmi – wer war eigentlich der Kerl, der mir bei meinem letzten Besuch aus deiner Wohnung entgegenkam? Der hat mir beim Rausgehen einen so bösen Blick zugeworfen, dass ich auf dem Rückweg in die Kaserne fast mit einem Hinterhalt gerechnet hab.«
    »Ich sprech mal mit ihm. Er ist manchmal etwas… eifersüchtig.«
    »Auf eine Hure?«
    »Ach, Callustras – kümmere dich doch nicht um den! Lass uns lieber noch ein bisschen Spaß haben…«
    Da war Achamian beklommen auf die Straße geflohen. Wilde Bilder waren ihm durch den Kopf geschossen, die ihn seine Hexenkünste bei einem brutalen Mord an ihrem Freier austoben oder ihn zum ohnmächtigen Voyeur einer Esmi werden ließen, die sich verzückt unter einem Soldaten wand. So oder so – er fühlte sich beschmutzt, als sei er durch das Belauschen des Obszönen selbst zur Obszönität geworden.
    Sie spielt die Hure doch nur, hatte er sich vor Augen zu führen versucht, wie ich den Kundschafter spiele. Der einzige Unterschied war, dass sie ihr Spiel weit besser beherrschte als er das seine. Koketter Humor, offene Käuflichkeit, blanke Geilheit – sie zog souverän alle Register, die einem Mann die Scham nahmen, seinen Samen gegen Geld abzudrücken. Sie war wirklich ein großes Talent.
    »Egal, wie sie’s wollen – ich besorg’s ihnen«, hatte sie einmal zugegeben. »Ich werde alt, Akka, und es gibt nichts Jämmerlicheres als eine alte, mittellose Hure.« Bei diesem Satz hatte in ihrer Stimme ehrliche Angst gelegen.
    Achamian war im Lauf der Jahre bei vielen Huren in vielen Städten gewesen – was also war an Esmenet so anders? Anfangs war er wegen ihrer wunderbar jungenhaften Schenkel und ihrer samtweichen Haut zu ihr gekommen, später dann, weil sie ihr Handwerk beherrschte, gut aufgelegt und mit Lust bei der Sache war – genau wie mit diesem Callustras. Und irgendwann hatte er in ihr kein Lustobjekt mehr gesehen, sondern war dem Menschen hinter den gespreizten Beinen begegnet. Wen hatte er da kennengelernt? In wen hatte er sich verliebt?
    In Esmenet, die Hure von Sumna.
    Vor seinem inneren Auge erschien sie oft unerklärlich dünn und wild, vom Regen durchnässt, vom Wind gepeitscht, von den wogenden Ästen des Waldes verdeckt. Diese Frau, die die Rechte einmal so gehalten hatte, dass das Sonnenlicht in ihrer hohlen Hand lag, und die ihm dann gesagt hatte, Wahrheit sei Luft, sei Himmel und könne von Menschen nur behauptet, nie aber besessen werden. Er hatte nicht zugeben können, wie sehr ihre Gedanken ihn berührten, die oft tief in seine Seele fuhren und dort Wurzeln schlugen.
    In der nahen Schlucht flogen Spatzen aus einer alten Eiche auf und erschreckten ihn.
    Reue, dachte er

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