Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
Vom Netzwerk:
Frühlingswölfe zurückgekehrt war. Der junge Utemot hatte so viel Blut verloren, dass er nur noch taumelnd – den Kopf des Wolfs an seinen Gürtel gebunden – durch die Dunkelheit nach Hause hatte wanken können. Vor dem Eingang zum Zelt seiner Mutter war er zusammengebrochen und hatte sich übergeben. Moënghus hatte ihn gefunden und seine strömenden Wunden als Erster gestillt.
    »Du hast den Wolf getötet«, hatte er gesagt und Cnaiür auf die Beine gezogen. Dem war alles ringsum verschwommen erschienen – nur nicht die glänzenden Augen des Sklaven Moënghus, deren Unbewegtheit ihn an die Fixsterne erinnerte, die den Nagel des Himmels bildeten. In seiner Qual hatte Cnaiür in den Augen dieses Fremdlings Trost und Zuflucht gefunden.
    Er hatte die Hände des Sklaven beiseite geschoben und gesagt: »Aber es ist nicht gelaufen, wie es hätte laufen sollen.«
    Moënghus hatte genickt: »Du hast den Wolf getötet.«
    Du hast den Wolf getötet.
    Diese Worte. Diese einnehmenden, in Bann schlagenden Worte! Moënghus hatte seine Qual gesehen und die einzigen Worte gesagt, die seine Seelennot lindern konnten. Nichts war gewesen, wie es hätte sein sollen, und doch war das Ergebnis, wie es sich gehörte. Ja – er hatte den Wolf getötet.
    Am nächsten Tag, als Cnaiür im Halbdunkel des mütterlichen Zelts langsam wieder zu Kräften kam, brachte Moënghus ihm Kaninchen-Eintopf mit Wildzwiebeln. Kaum war die dampfende Schüssel aus den Händen des Sklaven in die des Häuptlingssohns übergegangen, hatte der angeblich gebrochene Mann aufgeschaut und Rücken und Hals gestrafft. Die Körpersprache der Sklaverei – der ängstlich gebeugte Gang, das flache Atmen, der aus Furcht unruhig herumirrende Blick – fiel von ihm ab, und diese Veränderung war so plötzlich und vollständig, dass Cnaiür ihn sekundenlang nur sprachlos anstaunen konnte.
    Doch es war skandalös, dass ein Sklave einem Krieger in die Augen gesehen hatte. Darum nahm Cnaiür den dafür vorgesehenen Stock und schlug Moënghus, dessen blaue Augen keine Überraschung zeigten, sondern die ganze Zeit auf den Peiniger gerichtet blieben und mit ihrer irritierenden Ruhe an Cnaiür zehrten – einer Ruhe, die ihm seine… Unwissenheit zu vergeben schien. Er schaffte es nicht, Moënghus wirklich zu bestrafen – genau wie es ihm an jener Entrüstung mangelte, die ihn erst wirklich kräftig hätte ausholen lassen.
    Als Moënghus zum zweiten Mal wagte, ihn anzusehen, verpasste Cnaiür ihm eine so heftige Abreibung, dass seine Mutter ihn ausschimpfte und ihm vorwarf, ihr Eigentum mit Absicht beschädigt zu haben. Der Sklave sei frech geworden, hatte Cnaiür geantwortet, sich dafür aber glühend geschämt. Schon da nämlich hatte er gewusst, dass es eher Verzweiflung als frommer Zorn gewesen war, was ihn so hart hatte zuschlagen lassen. Schon da hatte er gewusst, dass Moënghus ihm das Herz gebrochen hatte.
    Erst Jahre später begriff er, wie sehr ihn diese Züchtigungen an den Fremdling gebunden hatten. Gewalt stiftet zwischen Menschen eine unerklärliche Vertrautheit – Cnaiür hatte genug Schlachten überlebt, um das zu wissen. Indem er Moënghus aus einer Verzweiflung heraus bestraft hatte, hatte Cnaiür sich bedürftig gezeigt. Du hast mein Sklave zu sein. Du hast mir zu gehören! Und indem er sich bedürftig gezeigt hatte, hatte er sein Herz geöffnet und der Schlange erlaubt, hineinzuschlüpfen.
    Als Moënghus dem Blick Cnaiürs zum dritten Mal standhielt, griff der Häuptlingssohn nicht mehr zum Stock, sondern fragte: »Warum forderst du mich heraus?«
    »Weil du, Cnaiür von Skiötha, aus anderem Holz bist als deine Verwandten. Weil nur du verstehst, was ich zu sagen habe.«
    Nur du.
    Schon wieder Worte, die ihn in Bann schlugen. Welchem jungen Mann geht es nicht gegen den Strich, im Schatten älterer Verwandter zu stehen? Welcher junge Mann hegt keinen geheimen Groll und macht sich keine bombastischen Hoffnungen?
    »Sprich.«
    Moënghus sprach in den nächsten Monaten über vieles. Zum Beispiel darüber, dass der Mensch im Schlummer liegt und nur der Logos – wie er den Geist nannte – ihn erwecken kann. Doch an diese Gespräche erinnerte Cnaiür sich nur ganz verschwommen. Von all ihren geheimen Unterhaltungen stand ihm allein die erste noch einigermaßen klar vor Augen. Doch das ist nicht verwunderlich, denn Sünden, die man zum ersten Mal begeht, lodern bekanntlich am hellsten. Wie Leuchtfeuer.
    »Wenn die Krieger zu Beutezügen ins Kaiserreich

Weitere Kostenlose Bücher