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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Fremden auf diese Weise – auf seine Weise – bezeichneten. Als hätten sie sein Gehirn angezapft und würden ihm die Gedanken rauben. Ihn. Den Sohn des Moënghus. Den Dûnyain. Durch den Regen und die Zelthäute hindurch spürte Cnaiür die irritierende Präsenz dieses Mannes über dem dunklen Lager – wie einen Schrecken, der sich schon hinterm Horizont ankündigt.
    »Und was hat er gesagt?«
    »Dass die Toten, die du gefunden hast, aus Atrithau waren.«
    Das hatte Cnaiür schon selbst herausbekommen. Neben Sakarpus war Atrithau die einzige Stadt nördlich der Steppe – die einzige von Menschen bewohnte Stadt jedenfalls.
    »Aber wer sind die Toten gewesen?«
    »Er hat sie seine Anhänger genannt.«
    Eine plötzliche Erkenntnis ließ ihn zusammenfahren: Anhänger. Er ist genauso…Er verfügt über Menschen so, wie sein Vater einst über sie verfügt hat …
    »Ist es nicht unwichtig, wer die Toten gewesen sind?«, fragte Anissi.
    »Ganz und gar nicht.« Alles war wichtig, wenn es um die Dunyain ging.
    Kaum hatte er Anasûrimbor Kellhus entdeckt, hatte ein Gedanke gebieterisch von Cnaiür Besitz ergriffen: Halte dich an den Sohn, um den Vater zu finden. Falls dieser Mann Moënghus nachreiste, wusste er, wo er zu finden war.
    Noch immer hatte Cnaiür deutlich vor Augen, wie sein Vater Skiötha zu Füßen von Moënghus im eiskalten Schlamm um sich geschlagen und getreten hatte. Einmal mehr bekam Cnaiür bei dieser Erinnerung einen Kloß im Hals. Dass ein unbewaffneter Sklave einen Häuptling mit bloßen Händen hatte umbringen können… Mit den Jahren war dieser Anblick für Cnaiür zu einer Art Droge geworden, zu etwas, das er fast zwanghaft immer wieder vor seinem inneren Auge ablaufen ließ. Doch seltsamerweise blieb diese Szene nie genau gleich, sondern veränderte sich ständig. Manchmal spuckte Cnaiür seinem Vater nicht ins immer dunkler werdende Gesicht, sondern nahm es zärtlich in die Hände. Manchmal starb nicht Skiötha zu Füßen von Moënghus, sondern Moënghus zu Füßen von Cnaiür, dem Sohn von Skiötha.
    Aug um Auge, Zahn um Zahn, Vater um Vater. Würde nicht Rache ihn von der Unausgeglichenheit befreien, die ihn emotional aus der Bahn geworfen hatte?
    Halte dich an den Sohn, um den Vater zu finden. Aber konnte er das riskieren? Was wäre, wenn er die gleiche Niederlage erlitte wie Skiötha?
    Minutenlang stockte ihm der Atem.
    Er war erst sechzehn Sommer alt gewesen, als sein Cousin Okyati mit Anasûrimbor Moënghus ins Lager geritten kam. Okyati und seine Krieger hatten ihn einer Schar Sranc abgenommen, die durch Suskara gestreift waren. Schon allein dadurch war der Fremde Gegenstand des Interesses, denn nur wenige hatten je eine Gefangennahme durch Sranc überlebt. Okyati hatte den Mann zu Skiöthas Zelt geschleift und mit rauem Lachen gesagt: »Der ist in freundlichere Hände geraten.«
    Skiötha hatte Moënghus als Tribut reklamiert und ihn seiner ersten Frau geschenkt, der leiblichen Mutter von Cnaiür. »Für die Söhne, die du mir geboren hast«, hatte Skiötha zu ihr gesagt, und Cnaiür hatte gedacht: Für mich.
    Moënghus hatte diese Entwicklung reglos verfolgt und dem Gespräch mit übel zugerichtetem Gesicht, aber glänzenden Augen zugeschaut. Als er den Blick einen Moment auf Skiöthas Sohn hatte ruhen lassen, hatte der ihn höhnisch und mit jugendlicher Verachtung angegrinst. Der Gefangene war kaum mehr als ein Bündel aus Lumpen, bleicher Haut, Schlamm und verkrustetem Blut gewesen: ein gebrochener Fremdling mehr – und sicher weniger wert als ein Stück Vieh.
    Cnaiür wusste inzwischen, dass es Moënghus darum gegangen war, denen, die ihn gefangengenommen hatten, genau diesen Eindruck zu vermitteln. Für einen Dunyain war sogar Erniedrigung ein mächtiges Werkzeug – vielleicht sogar das wirkungsvollste.
    Später sah Cnaiür den neuen Sklaven von Zeit zu Zeit Bögen spannen, Felle zum Trocknen ausbreiten, säckeweise Dung als Brennmaterial herbeischleppen und dergleichen Dinge tun. Genau wie die anderen verrichtete er seine Arbeit eilig und bewegte sich mit rückgratloser Hast. Dass Cnaiür ihn überhaupt bemerkte, lag an seiner Herkunft: Das da… das ist der, der die Sranc überlebt hat, dachte er stets, musterte ihn ein, zwei Sekunden und ging dann weiter. Wie lange aber mochten diese dunklen Augen ihn danach beobachtet haben?
    Ein paar Wochen waren vergangen, ehe Moënghus ihn tatsächlich ansprach. Er hatte den Moment klug gewählt: den Abend, an dem Cnaiür vom Ritus der

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