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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Rede, von den bösen Heiden aus dem Lande Kian, den alles erobernden Scylvendi, den durchtriebenen Hexenmeistern der Scharlachspitzen und manchem mehr. Diese Namen gaben Drusas eine Ahnung von der Welt außerhalb seines Dorfs, flößten ihm gehörigen Respekt, aber auch große Neugier ein und ließen die Ferne in seiner Fantasie zu einem Ort werden, an dem furchtbar tragische, aber auch unerhört heldenhafte Dinge geschehen. Und abends vor dem Einschlafen fühlte er sich immer sehr klein.
    Man könnte meinen, Kundschafter geworden zu sein, habe der einfachen Welt des Kindes manche Dimension hinzugefügt, doch gerade das Gegenteil war der Fall. Natürlich – je älter Achamian wurde, desto komplexer wurde seine Welt. Er lernte, dass es heilige und profane Dinge gibt, dass die Götter und die Andere Seite ihre eigenen Regeln haben und dass diese Regeln viel undurchsichtiger sind, als die Kindheitsbegriffe »große Leute« und »ferne Orte« ihn hatten vermuten lassen. Und er lernte, dass es nicht nur Gegenwart und unmittelbare Vergangenheit, sondern auch eine reiche Geschichte gibt und dass »vor langer Zeit« nicht etwa »hinter den sieben Bergen« bedeutet, sondern eher auf einen schrägen Geist verweist, der überall herumspukt.
    Doch für Kundschafter schnurrt die Welt seltsamerweise ins Eindimensionale zusammen. Menschen von hoher Abkunft – selbst Kaiser und Könige – erscheinen ihnen billig und niederträchtig wie ungehobelte Fischer. Weit entfernte Länder wie Conriya, Ainon, Ce Tydonn oder Kian verlieren für sie alles Exotische und Faszinierende und wirken schmuddelig und heruntergekommen wie die Fischerdörfer auf der Insel Nron. Heilige Dinge wie der Stoßzahn, die Tausend Tempel und sogar der Letzte Prophet erscheinen ihnen bloß als Seitenstücke des Profanen (dem sie die Fanim, die Cishaurim, die Hexenorden ohnehin zuordnen) – als seien die Worte »heilig« und »profan« austauschbar wie Stühle am Spieltisch. Und das jüngst Geschehene erscheint ihnen als geschmacklose Wiederholung des lang Vergangenen.
    Als Ordensmann und Kundschafter zugleich hatte Achamian die Drei Meere und die Länder ringsum kreuz und quer bereist und vieles von dem gesehen, wovor sein Magen einst vor Angst geflattert hatte. Er wusste nun, dass Kindergeschichten die Realität immer in goldenem Licht erscheinen lassen. Noch als Jugendlicher hatte man in ihm einen der Wenigen erkannt, ihn nach Atyersus gebracht und ihn an der Schule der Mandati ausgebildet. Seither hatte er Prinzen erzogen, Hochmeister beleidigt und Priester, die im Dienst der Tausend Tempel standen, zur Weißglut getrieben. Und inzwischen war ihm klar, dass Wissen und Reisen der Welt das Wunderbare rauben und jedes gelöste Rätsel, jede Entdeckung die Welt nicht reicher macht, sondern schrumpfen lässt. Klar – die Welt erschien ihm nun sehr viel komplexer als in seiner Kindheit, doch zugleich war sie viel schlichter und einfältiger. Überall rissen die Leute sich unter den Nagel, was sie nur kriegen konnten, als seien Titel wie »König«, »Tempelvorsteher« oder »Hochmeister« nur Masken, die sich ein und dasselbe hungrige Tier aufsetzt. Habgier – so schien es Achamian – war das Einzige, was die Menschen umtrieb.
    Er war nun mittleren Alters und seiner Tätigkeit als Hexenmeister wie als Kundschafter gleichermaßen müde. Und obwohl er es ungern zugeben würde, hatte er Liebeskummer. Um es mit den Worten der alten Fischersfrauen zu sagen: Er hatte einmal zu oft ein leeres Netz eingeholt.
     
     
    Achamian hatte Geshrunni im Heiligen Aussätzigen hocken lassen und hetzte perplex und bestürzt durch die düsteren Gassen nach Hause. Das Elendsviertel, das sich vom Nordufer des Flusses Sayut bis zu den berühmten Toren von Surman erstreckte, war ein Labyrinth aus verfallenden Mietshäusern, zwielichtigen Bordellen und heruntergekommenen Tempeln. Die ganze Gegend hieß Der Wurm, und dieser Name war Achamian immer sehr passend erschienen. Feucht und von schmalen Gängen durchsiebt, glich das Viertel tatsächlich dem, was man unter einem Stein finden konnte.
    Im Hinblick auf seine Mission hatte Achamian keinen Grund zur Bestürzung, ganz im Gegenteil: Nach dem irrwitzigen Auftritt mit dem Chorum hatte Geshrunni ihm Geheimnisse anvertraut – ungeheuerliche Geheimnisse! Rasch hatte sich erwiesen, dass der Sklave unzufrieden war und die Scharlachspitzen mit einer Erbitterung hasste, die Achamian fast beängstigte.
    »Ich habe mich nicht mit dir

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