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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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langer Zeit im fernen Shimeh gewesen. Mit der Gnosis (der Zauberei des Alten Nordens) hatte er damals seine Angreifer ausgeschaltet, die im safrangelben Habit auf ihn zugekommen waren, doch unter seinem magischen Schutzschild hatte er den Eindruck gehabt, den Blitzen der Cishaurim sei kein Donner gefolgt. Und das Mal war auch nicht zu sehen gewesen.
    Nur die Wenigen erkannten einander, doch niemand – jedenfalls kein Mitglied der Hexenorden – konnte die Cishaurim und ihre Taten von gewöhnlichen Leuten und dem normalen Lauf der Welt unterscheiden. Genau das hatte es ihnen ermöglicht, Sasheoka zu ermorden, vermutete Achamian. Die Scharlachspitzen besaßen zwar Waffen gegen Hexenmeister – Sklavenkrieger wie Geshrunni nämlich, die mit ihren Chorae Angreifer außer Gefecht setzten –, doch sie hatten keine Abwehr gegen Hexer, die von normalen Leuten nicht zu unterscheiden waren. Und sie verfügten über kein Mittel gegen all die Zauberei, die nicht als Eingriff in den göttlichen Weltlauf zu erkennen war. Inzwischen, so hatte ihm Geshrunni erzählt, waren in den Tempeln der Scharlachspitzen frei laufende Hunde unterwegs, die darauf abgerichtet waren, Safran und Henna zu wittern – Materialien also, mit denen die Cishaurim sich die Kleider zu färben pflegten.
    Aber warum? Was mochte die Cishaurim dazu gebracht haben, einen offenen Krieg gegen die Scharlachspitzen zu riskieren? Sie konnten doch unmöglich hoffen, diese Auseinandersetzung zu gewinnen! Die Scharlachspitzen waren einfach zu mächtig.
    Als Achamian den Sklavenkrieger nach dem Warum gefragt hatte, hatte Geshrunni nur die Achseln gezuckt.
    »Das ist schon zehn Jahre her, und sie wissen es noch immer nicht.«
    Das immerhin lieferte ein wenig billigen Trost, denn nichts schätzt der Unwissende mehr als die Unwissenheit anderer.
    Der Weg zu dem verwahrlosten Mietshaus, in dem er ein Zimmer genommen hatte, führte Drusas Achamian stets tiefer in die Elendsviertel. Noch immer machte er sich mehr Sorgen um sich als um die Zukunft.
     
     
    Geshrunni verzog das Gesicht, als er aus der Taverne stolperte, und kämpfte in der staubigen Gasse um sein Gleichgewicht.
    »Geschafft«, murmelte er und stieß ein meckerndes Lachen aus, das andere nie zu hören bekamen. Dann blickte er zum Himmel, von dem zwischen Lehmziegelmauern und ausgefransten Leinwandplanen nur ein schmaler Spalt zu sehen war. Sterne waren kaum zu erkennen.
    Plötzlich empfand er seinen Verrat als jämmerlich. Er hatte das einzige echte Geheimnis, das er kannte, an einen Feind seiner Herren ausgeplaudert. Jetzt hatte er nichts mehr, um seinen Hass zu stillen.
    Und der saß tief. Geshrunni war in allererster Linie ein stolzer Mensch. Dass einer wie er in eine Sklavenexistenz hatte geboren werden können und es sich gefallen lassen musste, von feigen, weibischen Männern herumgestoßen zu werden… Von Hexenmeistern! Hätte das Schicksal ihm nicht diese traurige Rolle zugeteilt, er wäre ein Eroberer geworden – davon war er überzeugt. Einen Feind nach dem anderen hätte er mit mächtiger Hand zerschmettert. Doch in seinem verwünschten Leben konnte er sich nur tratschend mit anderen weibischen Männern herumdrücken.
    Als ob Klatsch etwas mit Rache zu tun hätte!
    Er war schon ein Stück durch die Gasse geschwankt, ehe er merkte, dass ihm jemand folgte. Einen Moment lang fürchtete er, seine Herren hätten den Verrat entdeckt, doch das hielt er für unwahrscheinlich. Die Elendsviertel waren voll verzweifelter Menschen, die jedem Vorübergehenden in der Hoffnung folgten, er sei betrunken genug, ihn problemlos auszuplündern. Vor Jahren hatte er mal eine dieser Gestalten getötet, einen armen Teufel, der eher einen Mord begangen hätte als sich – wie Geshrunnis unbekannter Vater – in die Sklaverei zu verkaufen. Der Hauptmann schwankte weiter und gab sich alle Mühe, der Gefahr trotz seiner Trunkenheit mit wachen Sinnen zu begegnen, während blutige Szenarios durch seinen berauschten Kopf jagten. Es wäre eine gute Nacht, um mal wieder einen umzubringen, dachte er.
    Erst als Geshrunni den bedrohlich aufragenden Tempel passierte, den die Bewohner Carythusals den Rachen des Wurms nannten, fuhr ihm der Schreck in die Glieder. So oft einem Leute in die Elendsviertel folgten, so selten heftete sich einer an die Fersen derer, die den Wurm verließen. Geshrunni konnte inzwischen sogar die höchsten Turmspitzen blutrot übers Häusermeer in den Sternenhimmel ragen sehen. Wer würde es wagen, ihm so weit

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