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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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angefreundet, weil ich mir Hoffnungen auf dein Gold mache«, hatte der Javreh-Hauptmann gesagt. »Denn was soll ich damit anfangen? Mich freikaufen? Jeder Versuch wäre sinnlos: Die Scharlachspitzen verzichten auf nichts, was auch nur den kleinsten Wert besitzt. Nein, ich habe deine Freundschaft gesucht, weil ich denke, dass du mir nützlich sein wirst.«
    »Nützlich? Wobei?«
    »Bei meiner Rache. Ich will die Scharlachspitzen demütigen.«
    »Dann hast du also die ganze Zeit gewusst, dass ich kein Kaufmann bin?«
    Geshrunni lachte höhnisch. »Natürlich. Du bist zu freigebig mit deinen Ensolarii gewesen. Setz dich mit Kaufleuten und mit Bettlern in die Taverne – stets ist es ein Bettler, der dir das erste Glas ausgibt.«
    Wie konnte ich mich so täuschen lassen!
    Achamian hatte ein finsteres Gesicht gemacht und sich schwer über seine Durchschaubarkeit geärgert. Doch mochte es auch beunruhigend sein, dass Geshrunni ihm auf die Schliche gekommen war – wirklich besorgniserregend fand er, ihn völlig falsch eingeschätzt zu haben. Geshrunni war ein Krieger und ein Sklave und entsprach damit perfekt dem Klischee des Dummkopfs. Sklaven aber – überlegte Achamian nun – haben gute Gründe, ihre Intelligenz zu verbergen. Mag man weise Sklaven auch preisen, wie das im alten Ceneia mit den Sklaven-Gelehrten der Fall gewesen ist: Einen listigen Sklaven muss man fürchten und aus dem Weg schaffen.
    Doch diese Überlegung tröstete ihn wenig. Wenn er mich so leicht hat reinlegen können…
    Achamian hatte ein großes Geheimnis über das dunkle Carythusal und die obskuren Scharlachspitzen ans Licht gebracht, das größte Geheimnis seit vielen Jahren vielleicht. Doch hatte er dies nicht seinem Talent zu danken, das er bisher nur selten in Zweifel gezogen hatte, sondern allein seiner Unfähigkeit. So war er zwei Geheimnissen auf die Spur gekommen: einem, das für die Entwicklung der Länder rund um die Drei Meere schlimme Folgen haben konnte, und einem, das sein Selbstbild erschütterte.
    Ich bin nicht mehr der Mann, der ich mal war.
    Geshrunnis Geschichte war schon deshalb beunruhigend, weil sie zeigte, wie gut die Scharlachspitzen Geheimnisse zu bewahren wussten. Denn laut Geshrunni befanden sie sich im Krieg, und zwar schon seit über zehn Jahren. Das hatte Achamian zunächst wenig beeindruckt, denn wie alle Großen Gruppen hatten auch die Hexenorden ständig mit Kundschaftern, Mordanschlägen, Handelssanktionen und Abordnungen aufgebrachter Gesandter zu kämpfen. Doch dieser Krieg, versicherte ihm Geshrunni, sei weit bedeutsamer als jedes Geplänkel.
    »Vor zehn Jahren«, berichtete er, »wurde Sasheoka, unser früherer Hochmeister, ermordet.«
    »Sasheoka?« Achamian neigte eigentlich nicht zu dummen Fragen, doch die Vorstellung, ein Hochmeister der Scharlachspitzen sei ermordet worden, war geradezu absurd. Wie hatte das passieren können? »Ermordet?«
    »Und zwar im Allerheiligsten seines Ordens.«
    Anders gesagt: am bestgesicherten Ort im gesamten Gebiet der Drei Meere! Die Mandati hätten so etwas nie gewagt und obendrein nicht einmal dann Erfolg damit gehabt, wenn sie die funkelnden Formeln der Gnosis eingesetzt hätten. Wer mochte das geschafft haben?
    »Von wem?«, fragte Achamian beinahe atemlos.
    Geshrunnis Augen funkelten im rötlichen Lampenschein. »Von den Heiden«, sagte er. »Von den Cishaurim.«
    Über diese Enthüllung war Achamian verblüfft und erfreut zugleich. Die Cishaurim waren der einzige heidnische Orden. Das erklärte immerhin Sasheokas Ermordung.
    Eine verbreitete Redensart im Gebiet der Drei Meere lautet: »Nur die Wenigen erkennen einander.« Jede Hexerei ist Gewaltanwendung. Ein Zauberspruch greift genauso in den Lauf der Welt ein wie ein Messerstich. Doch nur die Wenigen – die Hexenmeister – können diese gewaltsamen Übergriffe erkennen, und nur sie nehmen das Blut an den Händen der Täter wahr, das sogenannte »Mal«. Die Wenigen erkennen einander und das Mal, in das alle Verbrechen ihres Gegenübers eingegangen sind, demnach so sicher wie der unbescholtene Bürger den verurteilten Verbrecher am Fehlen der Nase erkennt.
    Bei den Cishaurim war das anders, doch niemand wusste, warum es anders war und wie sie das anstellten. Jedenfalls bewirkten sie gewaltige, verheerende Ereignisse, doch ihre Eingriffe waren nicht als Hexerei auszumachen, und das Mal trugen sie auch nicht davon. Achamian hatte nur einmal einen Zauber der Cishaurim, eine so genannte Psukhe, erlebt, und das war vor

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