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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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seinen beklemmenden Träumen zu gewinnen, hallte ihm die Stimme des sterbenden Königs – die der von Kellhus so ähnlich war! – noch immer durch die Seele und übertönte mit ihrem prophetischen Duktus sogar sein pochendes Herz.
    Einer meiner Nachkommen wird zurückkehren, Seswatha – ein Anasûrimbor kehrt zurück…
    … doch das wird am Ende aller Tage sein.
    Aber was bedeutete das? Möglich, dass Anasûrimbor Kellhus wirklich ein Zeichen war, wie Proyas hoffte. Vielleicht aber war er – anders als Proyas annahm – kein Zeichen dafür, dass Gott dem Heiligen Krieg zustimmte, sondern ein Zeichen für die unmittelbar bevorstehende Rückkehr des Nicht-Gottes?
    … am Ende aller Tage.
    Achamian begann zu zittern, und bald ließ ihn eine furchtbare Angst so schlottern, wie er das im Wachzustand noch nie erlebt hatte.
    Die Rückkehr des Nicht-Gottes? Nein, gütiger Sejenus – lass mich lieber vorher sterben…
    Das war undenkbar! Er schlang die Arme um die Schultern, schaukelte in der Dunkelheit des Zelts mit dem Oberkörper vor und zurück und flüsterte »Nein!« und immer wieder »Nein!«
    Bitte… das kann doch nicht jetzt passieren… nicht mir! Ich bin zu schwach. Ich bin doch nur ein Narr…
    Außerhalb des Zelts schien nun eine fast erhabene Stille zu herrschen. Ringsum schliefen unzählige Männer, träumten von den schrecklichen Gefahren, aber auch vom glorreichen Ruhm des Kriegszugs gegen die Heiden und ahnten nichts von Achamians Befürchtungen. Sie waren arglos wie Proyas und hielten in ihrem rücksichtslosen Glaubensüberschwang eine Stadt namens Shimeh für die Nabe, um die sich das Rad der Welt drehte. Achamian aber wusste, dass diese Nabe an einem viel dunkleren Ort zu finden war – hoch im Norden, wo die Erde schwarze Tränen vergoss: in Golgotterath.
    Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren betete er.
    Danach aber kehrte seine Vernunft zurück, und er kam sich etwas lächerlich vor. Mochte Kellhus auch sehr ungewöhnlich sein: Die erschreckenden Befürchtungen, die Achamian eben noch gequält hatten, stützten sich einzig auf die Träume von Celmomas und die Übereinstimmung zweier Namen… Achamian war Skeptiker, und er war stolz darauf. Er hatte das Wissen der Alten studiert – die Philosophie des Ajencis zum Beispiel –, und er war Verfechter des logischen Denkens. Die Zweite Apokalypse war unter hundert hier in Frage kommenden und weit überwiegend banalen Möglichkeiten die wohl einzig dramatische. Und wenn sein Leben – von den Träumen abgesehen – von etwas wirklich gezeichnet war, dann von Banalität.
    Dennoch entzündete er seine Kerze durch ein Zauberwort, wühlte in seiner Reisetasche herum und zog das Schema hervor, das er kurz vor Erreichen des zum Heiligen Krieg versammelten Heers gezeichnet hatte. Er warf einen Blick auf die Namen, die verstreut auf dem Pergament standen, und blieb bei
     
    MAITHANET
     
    hängen. Achamian begriff: Solange der alte Gegensatz zwischen ihm selbst und Proyas bestehen bliebe, konnte er kaum hoffen, mehr über den Tempelvorsteher zu erfahren oder die Untersuchung von Inraus Tod voranzutreiben.
    Es tut mir leid, Inrau, dachte er und zwang sich, nicht länger auf den Namen seines geliebten Schülers zu starren.
    Dann blieb sein Blick an den Worten
     
    DIE RATHGEBER
     
    haften, die – sehr viel flüchtiger, wie ihm nun schien – in die obere rechte Ecke des Pergaments gekritzelt waren und dort ganz allein und vom dünnen Netz der Verbindungslinien isoliert standen, das die übrigen Namen verband. Im Licht der Kerze schienen die Buchstaben in der Ecke zu flackern, als wäre es so absurd, die Rathgeber in diesem Schema überhaupt zu erwähnen, dass sich ihr Name nicht einmal widerstandslos zu Papier hatte bringen lassen.
    Er tunkte die Feder ein und schrieb sorgfältig
     
    ANASÛRIMBOR KELLHUS
     
    unter die verhassten Rathgeber.
     
     
    Mit dem unwilligen Gang eines Menschen, der sich seines Ziels nicht sicher ist, bewegte Cnaiür sich durchs Lager. Der Weg, den er eingeschlagen hatte, schlängelte sich durch ein Wirrwarr von Schlafzelten. Hier und da brannte noch ein Feuer, um das sich murmelnde, überwiegend betrunkene Männer kümmerten. Von überallher stürmte beißender Gestank auf ihn ein, wie er sich in kalter und trockener Luft entwickelt, wenn ringsum Vieh gehalten wird, ranziges Fleisch am Haken hängt und öliger Rauch aufsteigt, weil ein Dummkopf nasses Holz verbrennt.
    Erinnerungen an das jüngste Treffen mit Proyas

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