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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Tages ab, und in der stillen Dunkelheit ringsum schien ein kaum hörbares Zischen vernehmbar.
    Was hatte er hier zu suchen? Unter den verhassten Inrithi. Unter Menschen, die ihre Gedanken nicht aussprachen, sondern in Gekritzel auf Pergament transformierten; unter Menschen, die ihre Nahrung dem Boden abgewannen und sie zum Teil gar aus dem Dreck buddelten; unter Menschen schließlich, die ihre Seele an die Sklaverei verkauft hatten.
    Unter Menschen, die kaum etwas anderes waren als Vieh.
    Was hatte er hier bloß zu suchen?
    Er legte die Hände über die Brauen, fuhr sich mit den Daumen über die geschlossenen Lider und drückte die Augen fest zu.
    Dann hörte er die Stimme des Dunyain durchs Dunkel dringen.
    Mit zugekniffenen Augen hatte er das Gefühl, wieder ein junger Mann zu sein, mitten im Lager der Utemot zu stehen und zufällig zu hören, wie Moënghus mit seiner Mutter sprach.
    Er sah Bannuts blutverschmiertes Gesicht, das sich kaum verzogen, sondern eher gegrinst hatte, als er ihn erwürgte.
    Heulsuse.
    Er ging weiter und fuhr sich dabei mit den Fingernägeln über die Kopfhaut. Durch ein Gewirr dunkler Zelte sah er das Lagerfeuer des Dûnyain, an dem der bärtige Ordensmann Drusas Achamian vorgebeugt saß und angestrengt zu lauschen schien. Dann sah er auch Kellhus und Serwë, die sich im Schein des Feuers vom Dunkel ringsum deutlich abhoben. Serwë schlief und hatte den Kopf auf dem Schoß des Dûnyain.
    Neben einem Wagen fand Cnaiür einen geeigneten Platz, um die Szene zu beobachten, und kauerte sich hin.
    Er hatte vorgehabt, die Worte des Dûnyain genau zu prüfen, um so wenigstens den einen oder anderen seiner zahllosen Zweifel bestätigt zu bekommen, begriff aber schnell, dass Kellhus dem Hexenmeister ebenso mitspielte wie allen anderen, ihn also – ohne dass der es auch nur merkte – mit geballten Fäusten dorthin prügelte, wohin er ihn haben wollte, obwohl es sich gar nicht danach anhörte: Verglichen mit dem Geschwätz von Proyas und seinen Statthaltern hatte das, was Kellhus dem Ordensmann sagte, herzzerreißenden Ernst – doch es war nur ein Spiel, bei dem Wahrheiten zu Belanglosigkeiten verkommen waren und sich hinter jeder offenen Hand eine Faust verbarg.
    Wie ließen sich die wahren Absichten eines solchen Mannes herausfinden?
    Plötzlich kam Cnaiür der Gedanke, Dunyain-Mönche könnten noch unmenschlicher sein als er schon angenommen hatte. Vielleicht hatten Begriffe wie »Wahrheit« oder »Sinn« für sie ja keinerlei Bedeutung? Vielleicht bewegten sie sich einfach nur vorwärts wie eine Art Reptil, schlängelten sich mal durch diese, mal durch jene Verhältnisse und verbrauchten dabei – nur um des Verbrauchens willen – eine Seele nach der anderen? Dieser Gedanke ließ ihm die Kopfhaut prickeln.
    Sie nannten sich Schüler des Logos – des kürzesten Wegs. Wohin aber mochte dieser kürzeste Weg führen?
    Der Ordensmann war Cnaiür egal. Der Anblick der schlafenden Serwë aber, deren Kopf auf Kellhus’ Schoß lag, erfüllte ihn ganz untypisch mit Angst, als ruhte das Mädchen inmitten der Spiralwindungen einer bösen Schlange. Vor seinem geistigen Auge blitzte die Vorstellung auf, sich tief in der Nacht mit Serwë davonzustehlen und sie dann zu packen, ihr so fest in die Augen zu sehen, dass er sie in tiefster Seele berührte, und ihr die Wahrheit über Kellhus zu sagen…
    Doch diese Bilder wichen bald einem großen Zorn.
    Was waren das wieder für hasenherzige Gedanken gewesen, die stets abschweiften, immer unter Schwachen und Verirrten streunten und sich noch jedes Mal als trügerisch erwiesen hatten! Serwë runzelte die Stirn und bewegte sich unruhig, als setzte ihr ein Traum zu. Kellhus streichelte ihr geistesabwesend die Wange. Cnaiür konnte nicht wegsehen und schlug mit den Fäusten auf den Boden.
    Sie ist ein Nichts.
    Kurz darauf ging der Ordensmann. Cnaiür beobachtete, wie Kellhus Serwë zu ihrem gemeinsamen Zelt führte. Aus dem Schlaf gerissen, war sie wie ein kleines Mädchen – schwankend und mit gesenktem Kopf betrachtete sie schmollend ihre Füße. Wie unschuldig sie war.
    Und schwanger, wie Cnaiür nun vermutete.
    Kurz darauf tauchte der Dunyain wieder auf und stieß das Feuer mit einem Stock auseinander. Die letzten Flammen verloschen, und Kellhus wurde zu einer von der orangeroten Glut zu seinen Füßen gespenstisch aus dem Dunkel geschnittenen Erscheinung. Ohne Vorwarnung sah er hoch.
    »Wie lange hattest du warten wollen?«, fragte er auf

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