Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
Vom Netzwerk:
anderen missgönnt, sich an seinen Träumen zu entzücken. Achamian stellte plötzlich fest, dass er die Geschichte, die Kellhus ihm erzählt hatte, glaubte. Wie hätte er auch sonst noch an sich glauben können?
    Trotz solcher Momente unaufdringlicher Belehrung begriff Achamian, dass Kellhus keiner war, der einem Gegenüber durch sein Reden oder Verhalten seine Überlegenheit vermitteln will. Ihre Unterhaltung kam ganz ohne die ungreifbare Rivalität aus, die die Wortwechsel anderer atmosphärisch manchmal aufhellt, meist jedoch trübt. Deshalb hatte ihre Unterhaltung den Charakter einer Reise. Manchmal lachten sie, manchmal aber ließ der Ernst ihrer Themen sie schweigen. Und diese Momente waren wie Stationen oder kleine Heiligtümer, an denen entlang man eine große Wallfahrt unternimmt.
    Achamian begriff, dass dieser Mann kein Interesse daran hatte, ihn von etwas zu überzeugen. Sicher gab es Dinge, die er ihm zeigen wollte und mit ihm zu teilen hoffte, doch alles wurde unter einer einfachen Voraussetzung angeboten: Lassen wir uns von den Dingen selbst berühren und entdecken wir einander!
    Ehe er an ihr Lagerfeuer gekommen war, hatte Achamian sich vorgenommen, allem gegenüber, was Kellhus sagen mochte, sehr misstrauisch, ja äußerst kritisch zu sein. Der Alte Norden war inzwischen Heimat unzähliger Sranc-Stämme; die großen Städte jener Gegend – Trysë, Sauglish, Myclai, Kelmeöl und die übrigen – waren vor zweitausend Jahren dem Erdboden gleichgemacht worden; die Gebiete der Sranc konnte kein Mensch durchqueren. Der Alte Norden war für die Mandati ein großes Dunkel, unergründlich und geheimnisvoll. Und Atrithau war das einzige Leuchtfeuer in diesem Dunkel und erhob sich zart und zerbrechlich vor dem langen, uralten Schatten Golgotteraths – als einziges Licht, das dem schwarzen Herz der Rathgeber so etwas wie Paroli bot.
    Als die Rathgeber noch offen mit den Mandati gerungen hatten, unterhielt Atyersus eine Mission in Atrithau, die aber schon vor Jahrhunderten – kurz bevor die Rathgeber selbst sich ins Dunkel zurückgezogen hatten – verstummt war. Regelmäßig hatten die Mandati danach Expeditionen in den Norden geschickt, um die Lage zu erforschen, doch diese Expeditionen waren ausnahmslos gescheitert: Entweder hatten die Galeoth, die die nördliche Karawanenstraße überaus eifersüchtig bewachten, sie zurückgewiesen, oder sie waren auf Nimmerwiedersehen in den riesigen Ebenen von Istyuli verschwunden.
    Deshalb wussten die Mandati über Atrithau nur, was von den wenigen Händlern zu erfahren war, die die lange Reise von dort nach Galeoth überlebt hatten. Und egal, was Kellhus als Realität ausgab – Achamian wusste, dass er seiner Darstellung nichts würde entgegensetzen und weder würde feststellen können, ob der Fremde die Wahrheit sagte, noch herauszufinden vermochte, ob er überhaupt ein Prinz war.
    Doch Anasûrimbor Kellhus war jemand, der die Menschen, mit denen er zu tun hatte, tief berührte. Die Gespräche mit ihm ließen Achamian zu Einsichten gelangen, die er sonst kaum gehabt hätte, und Antworten auf Fragen finden, die er zuvor nicht einmal zu stellen gewagt hatte. Es war, als habe der Fremde seine Seele beflügelt und sie zugleich geöffnet. Der Überlieferung nach war auch der Philosoph Ajencis so ein Mann gewesen. Und wie könnte jemand, der dem Ajencis so ähnlich war, lügen? Kellhus schien eine lebendige Offenbarung und ein leuchtendes Beispiel für Wahrhaftigkeit zu sein.
    Achamian merkte, dass er ihm zu trauen begonnen hatte – und das nach tausend Jahren voller Argwohn!
    Die Nacht wurde immer dunkler, und das Feuer war schon beinahe verloschen. Serwë hatte fast nichts gesagt und war schließlich – den Kopf auf Kellhus’ Schoß – eingeschlummert. Achamian beschlich ein mattes Gefühl von Einsamkeit, als er ihr schlafendes Gesicht betrachtete.
    »Liebt Ihr sie?«, fragte er.
    Kellhus lächelte bekümmert. »Ja… Ich brauche sie.«
    »Sie betet Euch an. Ich seh’s daran, wie sie Euch anblickt.«
    Dies aber schien Kellhus zu betrüben. Seine Miene verdüsterte sich. »Ich weiß«, sagte er schließlich. »Aus irgendeinem Grund hält sie mich für mehr als ich bin… genau wie andere.«
    »Vielleicht«, meinte Achamian mit einem Lächeln, das ihm merkwürdig gekünstelt vorkam, »wissen sie etwas, das Ihr nicht wisst.«
    Kellhus zuckte die Achseln, meinte: »Vielleicht«, sah Achamian ernst an und fügte dann schmerzlich hinzu: »Absurd, oder?«
    »Wovon sprecht

Weitere Kostenlose Bücher