Schattenfall
Kopf hin und her.
»Was bist du?«, schimpfte er. »Antworte!«
Skeaös’ Augen funkelten weiß aus dem verkohlten Gesicht. Und sie lachten, lachten über den wütenden Hexenmeister.
»Du bist der Erste, Chigra«, keuchte der alte Berater, und dieses Keuchen war fürchterlich und schien von allen Seiten zu kommen. »Und du wirst der Letzte sein…«
Was dann folgte, würde Xerius bis zum Ende seiner gezählten Tage im Traum heimsuchen. Als wollte es tiefer Atem holen, entfaltete sich das Gesicht von Skeaös wie Spinnenbeine, die sich eben noch an einen toten Körper geklammert hatten. Zwölf Beine, an deren Enden kleine, bösartige Klauen saßen, öffneten sich, und dort, wo gerade noch ein Gesicht gewesen war, kamen Zähne ohne Lippen und Augen ohne Lider zum Vorschein. Wie lange Frauenfinger umschlangen die zwölf Beine den Kopf des erstaunten Mandati und begannen zuzudrücken.
Der Hexenmeister schrie in Todesangst auf.
Xerius stand hilflos und wie angewurzelt da.
Doch dann hatte der mörderische Kopf losgelassen, rollte wie eine Melone über die Steinfliesen und schlug dabei mit seinen zwölf Beinen wild um sich. Conphas taumelte ihm mit blutigem Kurzschwert nach, gab ihm den Rest, beugte sich über das Wesen und sah seinen Onkel mit glasigen Augen an.
»Was für eine Scheußlichkeit«, sagte er und wischte sich Blut vom Gesicht.
Unterdessen kam der Mandati ächzend wieder auf die Beine und sah in die fassungslosen Gesichter ringsum. Wortlos ging er langsam zum Ausgang, doch Cememketri vertrat ihm den Weg.
Drusas Achamian drehte sich zu Xerius um, und in seine Augen kehrte die alte Intensität zurück. Blut lief ihm über die Wangen.
»Ich geh jetzt«, sagte er unverblümt.
»Dann geh«, meinte Xerius und nickte dem Hochmeister zu.
Als der Mandati den Raum verließ, sah Conphas zu Xerius rüber. In seiner Miene stand die Frage, ob das klug war.
»Er hätte uns einen Vortrag über Mythen gehalten, Conphas. Über den Alten Norden und die Rückkehr von Mog. Das machen sie immer.«
»Nach dem, was hier passiert ist«, gab Conphas zurück, »sollten wir ihnen vielleicht mal zuhören.«
»Auch unerklärliche Ereignisse machen verrückte Leute selten glaubwürdiger, Conphas.« Xerius blickte Cememketri an und sah an der Miene des Hochmeisters, dass er zum selben Schluss gekommen war. In diesem Raum hat sich tatsächlich etwas unerforschlich Wahres zugetragen, dachte er, und sein Entsetzen wich einem Hochgefühl: Ich habe überlebt!
Intrige – das war das wirklich große Spiel: das Benjuka lebendiger Herzen und fühlender Seelen. Hatte es je eine Zeit gegeben, da er es nicht gespielt hatte? Im Lauf der Jahre hatte er gelernt, dass man nur eine gewisse Zeit in Unkenntnis der gegnerischen Machenschaften spielen konnte. Das Kunststück war, den Gegner dauernd und umfassend zu fordern. Früher oder später würde der Moment kommen, und wenn man seinen Gegner nur lange genug zermürbt hatte, überlebte man diesen Moment und tappte nicht länger im Dunkeln. Und dieser Augenblick war nun gekommen: Er hatte überlebt! Und er tappte nicht länger im Dunkeln!
Der Mandati hatte es selbst gesagt: Hier handelte es sich um eine Hexerei anderer Art – eine, die die Wenigen nicht erkennen konnten. Xerius hingegen wusste die Antwort. Er kannte den Ursprung dieses wahnsinnigen Verrats:
Die Hexenpriester der Fanim. Die Cishaurim.
Die waren ein alter Feind. Und in dieser dunklen Welt waren alte Feinde willkommen. Conphas aber sagte er nichts davon – so sehr genoss er die seltenen Augenblicke, in denen das Verständnis seines Neffen hinter dem seinen zurückblieb.
Xerius ging zum Ort des Blutbads hinüber und betrachtete die lächerlich anmutende Gestalt des toten Gaenkelti.
»Wir haben Lehrgeld gezahlt«, sagte er leidenschaftslos, »aber das hat uns nicht an den Bettelstab gebracht.«
»Schon möglich«, entgegnete Conphas mit finsterem Gesicht. »Doch das war nur die erste Rate.«
Wie sehr er Mutter doch ähnlich ist, dachte Xerius.
Ob auf Hauptstraßen oder an verschlungenen Seitenwegen – überall im Lager wurde gefeiert, und es ging hoch her. Den Riemen ihres Ranzens fest in der Hand, drängte Esmenet sich zwischen großen, nur schemenhaft sichtbaren Kriegern hindurch. Einmal sah sie, wie eine Puppe des Kaisers verbrannt wurde; dann beobachtete sie zwei Männer, die zwischen ein paar Zelten einen bedauernswerten Dritten verprügelten. Viele knieten allein oder in Gruppen und weinten oder sangen hier
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