Schattenfall
Spucke aufs Wasser klatschen zu sehen, und lächelte verlegen.
»Yashari a’summa poro«, meinte er und mochte sie in seiner Muttersprache angeredet haben.
Esmenet aber beachtete ihn nicht.
Es war mehr die Körpergröße als das Benehmen der jungen Adligen, die Esmenet entnervt den Hauptweg verlassen und sich ins tiefere Dunkel schlagen ließ. Der stattlichere Wuchs der Adligen wurde allgemein mit ihrem edleren Blut begründet, doch Achamian hatte ihr erzählt, er sei eher eine Folge der Ernährung. Ob adlig oder nicht – die Norsirai seien so groß, weil sie mehr Muskelfleisch äßen. Normalerweise fand Esmenet stattliche Männer anziehend, Männer also, die sie früher im Gespräch mit Kolleginnen gern »Muskelbäume« genannt hatte. Doch diese Nacht – zumal nach der Begegnung mit dem zudringlichen Kerl aus Ce Tydonn – war es anders. Diesmal fühlte sie sich in Gegenwart der hünenhaften Ritter nur klein, ja geschrumpft und wie ein Spielzeug, das schnell zerbrochen, schnell weggeworfen ist.
Sie hatte sich recht lange zwischen den Zelten herumgedrückt, ehe sie das von Xinemus fand. Zuvor war sie dem toten Kanal quer durchs stille Lager nach Norden gefolgt, bis sie ein Freudenfeuer und weitere Feiernde vor sich gesehen hatte. Als sie noch überlegte, wie sie die Leute am besten umgehen konnte, sah sie die Standarte von Attrempus – einen steilen Turm zwischen zwei stilisierten Löwen – schlaff im Feuerschein hängen.
Zwar konnte sie die unter der Standarte Versammelten nicht sehen, stellte sich Achamian aber im Schneidersitz auf einer Matte vor und dachte sich sein Gesicht vom Alkohol und seiner berühmten gespielten Verachtung belebt. Ab und an würde er sich mit den Fingern durch den graumelierten Bart fahren, was bei ihm sowohl eine nachdenkliche als auch eine nervöse Geste sein konnte. Sie würde mit ihrem nicht weniger berühmten verschlagenen Lächeln ins Licht treten, und er würde vor Staunen sein Weinglas fallen lassen. Seine Lippen würden ihren Namen flüstern, seine Augen sich mit Tränen füllen…
Esmenet stand allein im Dunkeln und lächelte.
Es wäre herrlich, seinen Bart wieder an ihrem Ohr zu spüren, seinen herben Zimtgeruch in der Nase zu haben…
… und zu hören, wie er ihren Namen sagte.
»Esmi, Esmenet. So ein altmodischer Name.«
»Aus den Schriften des Stoßzahns. Esmenet war die Frau des Propheten Angeshraël.«
»Ach… ein Hurenname.«
Sie wischte sich die Augen. Er würde sich bestimmt freuen, sie zu sehen, ihre Zeit mit Sarcellus aber gewiss nicht verstehen – vor allem, wenn sie ihm von jener Nacht in Sumna und ihrer Bedeutung hinsichtlich Inraus erzählte. Er würde verletzt sein, gar empört. Möglicherweise würde er sie sogar schlagen.
Aber er würde sie nicht vertreiben. Wie stets würde er warten, dass die Mandati ihn an einen anderen Einsatzort riefen.
Und er würde ihr vergeben – wie stets.
Wie sie ihr Gesicht verabscheute…
So nutzlos! Erbärmlich!
Sie kämmte ihr Haar mit den Fingern, glättete ihr Gewand mit verschwitzten Händen und ärgerte sich darüber, sich in der Dunkelheit nicht herrichten zu können. Waren ihre Augen noch immer verschwollen? Waren die Ritter deshalb so freundlich zu ihr gewesen?
Erbärmlich!
Sie strich am Ufer des Kanals entlang und fragte sich dabei die ganze Zeit, warum sie das tat. Aus irgendeinem Grund schienen ihr Heimlichkeit, Dunkelheit, Deckung unerlässlich. Aus merkwürdigen Blickwinkeln sah sie das Freudenfeuer zwischen den Zelten lodern und in seiner Nähe helle Figuren stehen, die tranken und lachten. Zwischen dem Festgeschehen und dem Kanal befand sich ein großes Zelt, das von einigen kleineren Zelten flankiert war, in denen – wie Esmenet annahm – Sklaven und andere Bedienstete wohnten. Atemlos kroch sie direkt neben dem Zelt des Marschalls hinter einen abgewetzten Sichtschutz, verharrte reglos im Dunkeln und fühlte sich wie ein elendes Geschöpf aus dem Märchen, das sich vor tödlichem Licht verstecken muss.
Dann wagte sie es, um die Ecke zu spähen…
… und sah nur weitere Feiernde um noch ein Feuer sitzen.
Sie suchte Achamian, konnte ihn aber nicht entdecken. Der stämmige Mann in der grauen Seidentunika mit den Schlitzärmeln war bestimmt Xinemus persönlich. Er spielte den Gastgeber, kommandierte die Sklaven herum und sah Achamian recht ähnlich – fast wie ein älterer Bruder. Achamian hatte mal geklagt, Proyas hänsele ihn damit, wie der schwächere Zwillingsbruder von Xinemus
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