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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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hatte es für viel Gerede gesorgt, dass er mitten im Heerlager des Heiligen Kriegs eine Hure bei sich hatte wohnen lassen. Sie jedenfalls hatte genug stechende und anzügliche Blicke und viel grobes Gelächter ertragen müssen. Seine Diener wie Kameraden wussten, was sie für eine war. Und wenn sie über die Welt des Adels eines gelernt hatte, dann, dass Rang und Ansehen keine Garantie für gutes Benehmen waren.
    Das war’s jetzt also… oder?
    Sie dachte an den Fremden auf dem Kamposea-Markt, an die Seitengasse und den Schweiß…
    Was hat mich da bloß geritten?
    Sie dachte an das schöne Gefühl von kühler Seide auf der Haut; an
    Gebratenes, das dampfend, gut gewürzt und mit einem samtweichen Wein auf den Tisch kam; an den Winter in Sumna vor vier Jahren, als sie sich nach dem Dürresommer nicht mal mehr mit Sägespänen gestrecktes Mehl hatte leisten können. Sie war so mager geworden, dass niemand mehr ihre Liebesdienste hatte kaufen wollen… Damals wäre es fast vorbei gewesen. Um ein Haar.
    Eine innere Stimme meldete sich leise, aber flehend und unendlich vernünftig zu Wort: Bitte ihn um Verzeihung. Sei nicht dumm! Bitte ihn…
    Bitte ihn darum!
    Doch sie konnte ihn nur ansehen. Sarcellus kam ihr wie eine Erscheinung vor – wie etwas, das jenseits jeder Entschuldigung und jeder Bitte lag. Ein ganzer Mann war das. Als sie nichts sagte, schnaubte er ungeduldig auf und machte auf dem Absatz kehrt. Sie sah ihm nach, bis seine kräftig ausschreitende Gestalt im Dunkel verschwunden war.
    Sarcellus?
    Sie hätte fast nach ihm gerufen, doch etwas ließ sie im letzten Moment innehalten.
    Du hast es so gewollt, hörte sie eine Stimme in sich, die sie nicht eindeutig als die ihre erkannte.
    Im Osten wurde es hinter der fernen Silhouette der Andiamin-Höhen langsam hell. Bald wacht der Kaiser auf, dachte sie unsinnigerweise. Sie musterte den Mann, der einsam am Feuer lag. Er bewegte sich nicht. Teilnahmslos strich sie um die Feuerstelle herum und überlegte, wo der Scylvendi und wo der Prinz von Atrithau in der Nacht gesessen hatten. Sie schüttete Wein in einen klebrigen Kelch, nippte daran und kaute an einer weggeworfenen Brotrinde. Sie fühlte sich wie ein Kind, das lange vor den Eltern aufgewacht ist, oder wie ein Aasfresser, der heimlich in den Sachen von Männern herumschnüffelt, die auf die Jagd gegangen sind. Eine Zeit lang stand sie vor der schlafenden Gestalt. Es war Xinemus. Sie lächelte und dachte daran, wie er vor wenigen Stunden mit dem Prinzen von Atrithau in den Kanal geschifft hatte. Die verglimmenden Scheite knackten, und ihr trauriges Orange sank noch tiefer in die Asche, während die Dämmerung grau am Horizont heraufzog.
    Wo bist du, Akka?
    Sie begann zurückzuweichen, als suchte sie etwas, das zu groß war, um auf einen Blick ins Auge zu fallen.
    Schritte ließen sie zusammenschrecken. Sie fuhr herum…
    … und sah Achamian auf sich zutrotten.
    Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen, wusste aber, dass er es war. Wie oft hatte sie seine beleibte Gestalt von ihrem Fenster in Sumna aus im Straßengewühl entdeckt! Entdeckt und gelächelt.
    Als er näher kam, sah sie die fünf grauen Strähnen seines Barts, dann die ersten Züge seines Gesichts, das im Dunkeln ausgezehrt wirkte. Sie stand vor ihm – lächelnd, weinend, mit ausgestreckten Händen.
    Ich bin’s.
    Er sah durch sie hindurch in die Ferne und ging weiter.
    Erst stand sie einfach wie eine Salzsäule da. Ihr war nicht klargewesen, wie lange sie diesen Moment gefürchtet und zugleich ersehnt hatte. Ihr schien nun, es müssten unendlich viele Tage gewesen sein. Sie hatte sich gefragt, wie er aussehen und was er sagen würde; ob er stolz auf das wäre, was sie entdeckt hatte; ob er weinen würde, wenn sie ihm von Inrau erzählte; ob er schimpfte, wenn sie ihm von dem Fremden berichtete, und ob er ihr das Intermezzo verzeihen würde, in Sarcellus’ Bett geschlüpft zu sein, um sich zu verstecken.
    So viele Sorgen und Hoffnungen. Und jetzt?
    Was war geschehen?
    Er hat so getan, ab würde er mich nicht sehen. Hat sich verhalten, als ob… ab ob…
    Sie zitterte und legte die Hand an den Mund.
    Dann rannte sie los, sprang – Schatten unter Schatten – in großen Sätzen durch die feuchte Luft, raste zwischen schlummernden Zelten entlang, stolperte über Zeltschnüre, fiel hin…
    Mit bebender Brust rappelte sie sich auf, schob kniend Staub zusammen, nahm ihn in die Hände und begann, an ihren Haaren zu zerren. Dabei schluchzte sie immer

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