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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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gelogen, sondern nur die Wahrheit verschwiegen (also vielleicht keine kapitale Sünde begangen), nichtsdestotrotz aber Achamian so ihren Absichten gefügig gemacht.
    Manipulation über Manipulation. Selbst das Quorum führte die eigenen Kundschafter an der Nase herum – ein altbekannter Skandal, aber stets aufs Neue empörend.
    Der Krieger hatte weitergeredet, und seine Augen glühten plötzlich vor Leidenschaft. »Betet, dass wir gegen die Orden kämpfen, mein Freund, und nicht gegen die Fanim – Hexerei ist schließlich das viel schlimmere Übel.«
    Dem hätte Achamian fast beigepflichtet.
     
     
    Achamian streckte die Hand aus, um einen Finger an Esmenets Rückgrat hinunterwandern zu lassen, zögerte dann aber und nahm sich stattdessen ein paar fleckige Decken. Das Zimmer war dunkel und verdankte seine würzige Wärme der ausdauernden Zuwendung, die die beiden einander geschenkt hatten. Im Halbdunkel konnte Achamian auf dem Boden Krümel und Staubfäden erkennen. Ein strahlend weißer Riss im Fensterladen war die einzige Lichtquelle. Von der Straße stieg Lärm auf.
    »Sonst nichts?«, fragte er und war etwas erschrocken, wie unsicher seine Stimme klang.
    »Was meinst du mit ›sonst nichts‹?« In ihrer Frage schwang eine alte, kaum zu tilgende Verletztheit mit.
    Sie hatte ihn missverstanden, doch er kam nicht dazu, das aufzuklären, denn plötzlich befiel ihn Übelkeit und das Gefühl, die Hitze im Zimmer sei erstickend. Er schwang sich aus dem Bett, fürchtete aber sofort, in die Knie gehen zu müssen, denn seine Beine gaben nach. Wie ein Betrunkener klammerte er sich an die Anrichte und bekam eine Gänsehaut an Kopf, Armen und Rücken.
    »Akka?«, fragte sie.
    »Alles in Ordnung«, gab er zurück. »Das ist nur die Hitze.« Er richtete sich auf und rollte sich wieder auf die schwankende Matratze. Als Esmenet ihn berührte, fühlte sich das an, als schlängelten sich glühende Aale über seine Haut. Wie konnte es im Vorfrühling nur so heiß sein! Die Aussicht auf Maithanets Heiligen Krieg schien die ganze Welt in fiebrige Hitze versetzt zu haben.
    »Solche Schübe hattest du früher auch schon«, sagte sie besorgt. Jeder wusste, dass das Fieber nicht ansteckend war.
    »Stimmt«, sagte er mit schwerer Zunge und hielt sich die Stirn. Dir kann nichts passieren. »Vor sechs Jahren hat es mich schlimm erwischt, auf meiner Mission in Cingulat… damals wäre ich beinahe abgetreten.«
    »Vor sechs Jahren«, wiederholte sie bitter. »Da ist meine Tochter gestorben.«
    Er merkte, dass er sich darüber ärgerte, wie umstandslos sie seinen Schmerz vereinnahmte. Dann stellte sich bei ihm ein Bild davon ein, wie ihre Tochter jetzt ausgesehen haben würde: kräftig, aber feinknochig; mit dunklem, glanzlosem Haar – kurz geschnitten, wie es sich für niedrige Kasten gehörte; die Wange perfekt in die Handfläche passend. Doch es war Esmi, die er sich da vorstellte. Und zwar als Kind.
    Sie schwiegen lange. Seine Gedanken beruhigten sich. Nun, da sie voneinander abgelassen hatten, empfand er die Hitze nicht mehr als beklemmend, sondern wie Balsam. Sie hat mich vorhin missverstanden, dachte er. Daher der verletzte Ton in ihrer Stimme. Er hatte bloß wissen wollen, ob an den Gerüchten mehr dran sein mochte.
    Irgendwie hatte er immer gewusst, dass er einmal zurückkehren würde – nicht nur nach Sumna, sondern in die Arme dieser müden Frau. Esmenet. Ein seltsamer, altmodischer Name für jemanden ihrer Art, einer Hure aber doch merkwürdig angemessen.
    Esmenet. Wie konnte ein Name ihn so rühren?
    In den vier Jahren seit seinem letzten Aufenthalt in Sumna war es abwärts mit ihr gegangen. Sie hatte abgenommen, und ihre Entschlossenheit hatte durch viele kleine Verletzungen deutlich Federn gelassen. Kaum hatte er sich durch die verstopfte Hafengegend gekämpft, hatte er nach ihr zu suchen begonnen, und zwar so eifrig, dass es ihn selbst überraschte. Es war ein merkwürdiges Gefühl gewesen, sie dann in ihrem Fenster sitzen zu sehen – wie ein Verlust, der doch zugleich der Eitelkeit schmeichelt, als habe er hinter dem von schwerem Leid gezeichneten Gesicht eines Bettlers oder Aussätzigen einen Kindheitsrivalen entdeckt.
    »Immer noch unterwegs?«, hatte sie ihn begrüßt und nicht die leiseste Überraschung im Blick gehabt, was Achamian sehr bemerkenswert erschienen war.
    Auch ihr Verstand hatte inzwischen den letzten Anflug von Kindlichkeit verloren.
    Allmählich hatte sie ihn von seinen Sorgen abgebracht und in ihr

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