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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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verknüpft, waren gleichsam die Angeln, an denen die Torflügel des Schicksals hingen.
    Achamian hingegen erschienen sie nur wie Stein gewordene Eierschalen. Die Hagerna mochte Leute beeindrucken, die anders gestrickt waren als er und der Gravitation der Gegenwart nicht auf Flügeln der Reflexion entkommen konnten. Menschen also wie seinen früheren Schüler Inrau.
    Wenn Inrau über die Hagerna geredet hatte, dann immer im überzeugten Brustton dessen, der Gott selbst aus sich sprechen weiß. Wie stets, wenn er auf ungebremsten Enthusiasmus traf, war Achamian auch über Inraus Emphase mehr als nur leicht befremdet gewesen. Sein Schüler hatte einen wuchtigen Ton angeschlagen, in dem schier wahnwitzige Gewissheit lag, die Städte, ja ganze Länder verheeren konnte – als ob seine Selbstgerechtigkeit frei schwebend war und jeder Verrücktheit den Segen zu erteilen vermochte. Auch dies war ein Grund, warum Maithanet sehr zu fürchten war: Solchen Enthusiasmus zu besitzen, war schon krank genug, aber damit auch noch auf Mission zu gehen…
    Maithanet litt an einer ansteckenden Krankheit, deren deutlichstes Symptom Gewissheit war. Achamian hatte nie begriffen, wie Menschen ihre Zweifelsfreiheit als Zeichen göttlichen Waltens missverstehen konnten. Denn letztlich war Gott nur eine Chiffre des Geheimnisses, das allen aufgebürdet war. Und Zögern war ein Symptom des Lebens im Geheimnis.
    Vielleicht gehöre ich also zu den Frömmsten auf Erden, dachte er und lächelte innerlich darüber, wie gern er sich immer wieder schmeichelte. Ich sollte aufhören, so viel zu grübeln.
    »Maithanet«, murmelte er in sich hinein, doch nicht nur der Anblick der Hagerna, auch dieser Name ließ ihn eigentümlich kalt und schien weder Verbindung zu den ungeheuren Gerüchten zu haben, die sich an ihn knüpften, noch auf die Verbrechen hinzudeuten, die dieser Mann demnächst begehen würde.
    Als fühlte er sich seinem einzigen Passagier gegenüber diffus verpflichtet, leistete der Kapitän des Handelsschiffs Achamian in seiner meditativen Ruhe Gesellschaft, hielt dabei aber – typischer Fehler der niedrigen Kasten – nicht den schicklichen Abstand. Der Kapitän war stämmig und schien aus dem gleichen Holz wie sein Schiff zu sein. Seine Unterarme waren von Salz und Sonne gegerbt, und in seinem wilden Haupthaar und seinem zottigen Bart glaubte man das Meer zu spüren.
    »Sumna«, sagte er schließlich, »ist für einen wie Euch kein guter Aufenthaltsort.«
    Einer wie ich… Ein Hexenmeister in einer heiligen Stadt. Die Stimme und die Worte des Mannes hatten nichts Anklagendes. Die Nroni hatten sich an die Mandati gewöhnt, an ihre Talente und ihre Ansprüche. Doch sie waren weiter Inrithi, »die Gläubigen«. Ihr Ausweg aus diesem Widerspruch lag darin, den herrschenden Mandati gegenüber in Wort und Miene eine gewisse Ungreifbarkeit zu kultivieren. Was immer sie sagten, schien mit dem Rücken zu der Tatsache gesprochen, Ketzern dienstbar zu sein. Vielleicht hofften sie, ihren Glauben ohne Einbuße durch die Zeit zu retten, wenn sie nur von ihm schwiegen.
    »Die finden nie heraus, wes Geistes Kind wir sind«, antwortete Achamian. »Das ist ja das Furchtbare an Sündern: Sie sind von Rechtgläubigen nicht zu unterscheiden.«
    »Davon habe ich gehört«, gab der Kapitän zurück und wich dem Blick seines Gegenübers aus. »Nur die Wenigen können einander erkennen.« Seine Stimme klang beunruhigend, und Achamian hatte den Eindruck, er forsche nach Einzelheiten einer verbotenen Liebesaffäre.
    Warum sprachen sie eigentlich über dieses Thema? Versuchte dieser Narr etwa, sich bei ihm einzuschmeicheln?
    Plötzlich stand Achamian ein Bild vor Augen: Er sah sich als Junge über die großen Steine klettern, auf denen sein Vater die Netze trocknen ließ. Und er sah sich alle paar Augenblicke atemlos innehalten, um sich einfach nur umzusehen. Es war etwas geschehen. Es schien, als habe er ein zweites Paar Lider aufgeschlagen, die unter denen lagen, die er jeden Morgen öffnete. Alles schien ihm nun quälend eng, als habe die Welt ihr Fleischliches verloren und bestehe nur mehr aus Haut, die straff über die Knochen und deren Zwischenräume gespannt war: das Netz auf dem Stein; das über die Unebenheiten des Felsens geworfene Schattengitter; die perlenden Wassertropfen zwischen den Sehnen seiner Hände – wie brennend klar das alles war! Und aus dieser Enge stieg ein Gefühl des Blühens in ihm auf – der Eindruck, das Sehen schlage in reines Sein um

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