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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Jahre lang kunstfertig verfeinert.
    Für diese Narren war er in vielerlei Hinsicht ein Gott. Das musste er sich immer wieder vor Augen führen – nicht nur, weil es schmeichelhaft war, sondern weil sie es waren, die das nicht vergessen konnten, sie, die ihn fürchteten und deshalb zwangsläufig hassten, und zwar so sehr, dass sie alles in einem Heiligen Krieg gegen die Orden aufs Spiel setzen würden. Ein Hexenmeister, der diesen Hass vergaß, verlernte zugleich, wie er am Leben bleiben konnte.
    Achamian sah auf die so gewaltige wie verschwommene Silhouette von Sumna, hörte das Gezänk der Matrosen im Hintergrund und das Ächzen des Schiffs im Wellengang und dachte an den Brand der Weißen Flotte in Neleost vor Tausenden von Jahren. Noch immer hatte er den dicken Rauch in der Nase, sah die Flammen des Verhängnisses übers abendliche Wasser flackern und spürte das Ich seiner Seswatha-Träume vor Kälte schlottern.
    Dann fragte er sich, wo sie versunken war, die Vergangenheit, und warum sie ihm – sollte sie wirklich auf ewig untergegangen sein – solches Herzeleid bereitete.
    In den verstopften Straßen rund um den Hafen grübelte Achamian, der im Gedränge oft nachdenklich wurde, einmal mehr darüber nach, wie absurd seine Anwesenheit in dieser Stadt war. Es war ein kleines Wunder, dass die Tausend Tempel den Orden überhaupt erlaubt hatten, ihre Angelegenheiten hier weiterzuverfolgen. Denn für die Inrithi war Sumna nicht nur das Zentrum ihres Glaubens und der Sitz ihres Oberhaupts, sondern auch das Herz Gottes – und zwar im wörtlichen Sinne.
    Die Chronik des Stoßzahns war die älteste und darum mächtigste Stimme der Vergangenheit, so alt, dass sich ihre Herkunft in der Vorgeschichte verlor. Deshalb galt sie – nach einer Formulierung des großen ceneischen Kommentators Gaeterius – als »unschuldig«. In den Stoßzahn war die Geschichte der Völkerwanderungen, die die Vormachtstellung des Menschen in Eärwa begründet hatten, in zeilenweisem Umlauf eingemeißelt. Der Stoßzahn war (wieso auch immer) stets im Besitz eines Stamms, der Ketyai nämlich, geblieben und befand sich seit den frühesten Tagen von Shigek in Sumna, seit einer Zeit also, da der Aufstieg von Kyraneas noch nicht einmal begonnen hatte – so legten es jedenfalls die überlieferten Quellen nahe. Daher waren Sumna und der Stoßzahn im Bewusstsein der Menschen eine untrennbare Einheit; wer nach Sumna pilgerte, wallfahrtete immer auch zum Stoßzahn und umgekehrt – als sei die Stadt ein Gegenstand des Kultus und der Kultusgegenstand eine Stadt. Wer durch Sumna ging, bewegte sich gleichsam durch eine Architektur gewordene Heilige Schrift.
    Kein Wunder also, dass Achamian sich deplatziert fühlte.
    Nun war er ins Gedränge hinter einer kleinen Maultierkarawane geraten. Ringsum Schultern und Arme, finstere Gesichter und verärgertes Rufen. Bald kam der Verkehr in der Gasse ganz zum Stehen. Noch nie hatte er die Stadt so unerträglich überlaufen erlebt. Er drehte sich zu einem drängelnden Mann hinter sich um, einem ernsten, vollbärtigen und breitschultrigen Krieger, der offenbar aus Conriya kam.
    »Was ist hier eigentlich los?«, fragte er ihn auf Scheyisch, ohne in seinem Unmut zu bedenken, ob sein Verhalten gegen die Schicklichkeit verstieß. Aber schließlich standen sie hier beide schwitzend im Gedränge.
    Der Mann musterte ihn aus dunklen Augen und schien befremdet.
    »Wisst Ihr das etwa nicht?«, fragte er laut zurück, um den Lärm zu übertönen.
    »Was denn?« Achamian spürte ein leichtes Kribbeln im Rücken.
    »Maithanet hat die Gläubigen nach Sumna gerufen«, sagte der Krieger, den Achamians Unwissenheit misstrauisch machte. »Er erklärt demnächst, gegen wen es in den Heiligen Krieg geht.«
    Achamian war perplex. Er ließ den Blick über die dicht gedrängten Gesichter schweifen und registrierte plötzlich, dass auf vielen die steinerne Miene zum Krieg entschlossener Männer lag. Fast alle waren bewaffnet. Die erste Hälfte seiner Mission hatte sich also fast erledigt – er würde demnächst erfahren, gegen wen Maithanet seinen Glaubenskrieg zu führen gedachte.
    Nautzera und die anderen haben das bestimmt gewusst. Warum haben sie mir nichts davon erzählt?
    Weil sie darauf angewiesen waren, dass er nach Sumna fuhr. Sie wussten, dass er sich weigern würde, Inrau anzuwerben – darum hatten sie alles in ihrer Macht Stehende getan, ihn von der Notwendigkeit dieser Rekrutierung zu überzeugen. Dabei hatten sie nicht

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