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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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feines Geflecht aus Anekdoten und Ironie verwickelt. Ihre Begegnung hatte unaufhaltsam in dieses Zimmer geführt, und Achamian hatte sich mit einer Gier auf sie gestürzt, die ihn erschreckt hatte. Als könnte das Animalische des Liebesakts ihm eine unmögliche Begnadigung gewähren: die Entlassung aus dem furchtbaren Chaos seiner Mission.
    Achamian war aus zwei Gründen in Sumna: um herauszufinden, ob der neue Vorsteher der Tausend Tempel seinen Heiligen Krieg gegen die Orden führen wollte, und um zu ermitteln, ob die Rathgeber irgendwie hinter den Entwicklungen in Sumna steckten. Das erste Ziel war greifbar gewesen – und geeignet, den Verrat an Inrau zu rechtfertigen; das zweite Ziel dagegen… war geisterhaft und hatte die zugleich blutarme und fiebrige Anmutung hektischer Ausreden, bei denen der Schuldige nicht auf Lossprechung hoffen kann. Wie sollte er den Krieg der Mandati gegen die Rathgeber zur Rechtfertigung seines Verrats nutzen, da dieser Krieg ihm inzwischen doch vollkommen irrwitzig schien?
    Denn wie anders als »irrwitzig« konnte man einen Krieg nennen, bei dem der Widersacher fehlte?
    »Morgen muss ich Inrau finden«, sagte er mehr ins Dunkel als zu Esmenet.
    »Hast du immer noch vor, ihn… umzudrehen?«
    »Keine Ahnung. Eigentlich weiß ich so gut wie nichts mehr.«
    »Wie kannst du so reden, Akka? Manchmal frage ich mich, ob es etwas gibt, das du nicht weißt.«
    Sie war stets die perfekte Hure gewesen, die erst seinen Trieb befriedigte und dann sein Gemüt aufhellte. Ich weiß nicht, ob ich das noch mal ertragen könnte.
    »Ich habe mein ganzes Leben unter Leuten verbracht, die mich für verrückt halten, Esmi.«
    Darüber lachte sie. Obwohl sie der Dienstbotenkaste entstammte und keine Ausbildung – jedenfalls keine Schulausbildung – hatte, besaß Esmenet seit jeher einen ausgeprägten Sinn für Ironie. Das war eine der vielen Eigenschaften, die sie so sehr von anderen Huren unterschied.
    »Ich hab mein ganzes Leben unter Leuten verbracht, die mich für eine Dirne halten, Akka.«
    Achamian lächelte im Dunkeln. »Aber das ist nicht das Gleiche, denn du bist eine Dirne.«
    »Dann bist du also nicht verrückt?«, fragte sie kichernd, und Achamian spürte sich ärgerlich werden. Ihre Mädchenhaftigkeit war eine Farce – so jedenfalls hatte er das immer gesehen –, eine Rolle, die sie sich für den Umgang mit ihren Kunden zurechtgelegt hatte und die ihn daran erinnerte, dass er nur ein Freier und sie beide kein Liebespaar waren.
    »Darum geht’s doch gerade, Esmi. Ob ich verrückt bin oder nicht, hängt davon ab, ob mein Feind existiert.« Er zögerte, als hätten ihn diese Worte an den Rand eines schwindelerregenden Abgrunds versetzt. »Esmenet… du glaubst mir doch, oder?«
    »Einem unverbesserlichen Lügner wie dir? Willst du mich beleidigen?«
    Er brauste verärgert auf und bereute es sofort. »Nein. Im Ernst…«
    Sie zögerte einen Augenblick. »Ob ich an die Existenz der Rathgeber glaube?«
    Das tut sie nicht. Achamian war klar: Leute, die Fragen wiederholen, fürchten sich davor, sie zu beantworten.
    Ihre schönen braunen Augen musterten ihn im Halbdunkel. »Sagen wir einfach so, Akka: Ich glaube an die Existenz der Frage nach den Rathgebern.«
    Ihr Blick hatte etwas Flehendes. Wieder überlief Achamian eine Gänsehaut.
    »Reicht dir das denn nicht?«, fragte sie.
    Selbst nach seiner eigenen Einschätzung waren die Rathgeber keine tatsächliche Gefahr mehr, sondern spukten ihm nur noch als Endlosschleife besorgter Fragen durch den Kopf. Hatte er vor lauter Trauer über das Fehlen einer Antwort die Wichtigkeit der Frage vergessen?
    »Ich muss Inrau morgen finden«, wiederholte er.
    Ihre Finger arbeiteten sich durch seinen Bart und über sein Kinn, und er hob den Kopf wie eine Katze.
    »Wir sind ein trauriges Paar«, sagte sie, als mache sie nur eine beiläufige Beobachtung.
    »Warum sagst du das?«
    »Ein Hexenmeister und eine Dirne… das hat etwas Trauriges.«
    Er nahm ihre Hand und küsste ihre Fingerspitzen.
    »Alle Paare haben etwas Trauriges«, sagte er.
     
     
    In seinem Traum durchwanderte Inrau Ziegelschluchten und begegnete Gestalten, deren Gesichter Fackeln wie zerfetzte Fahnen umwehten. Er hörte eine markerschütternde Stimme aus dem Nichts, die ihm eine Gänsehaut über den Leib trieb und deren Worte wie Fäuste waren, die aus dem toten Winkel seiner nervös herumfahrenden Augen gestaltlos nach ihm schlugen. Worte, die noch den letzten Willensrest aus ihm prügelten

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