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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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und sein Blick sei ins Herz der Dinge gedrungen. Und plötzlich nahm er sich aus der Perspektive des Steins wahr: ein Kind, dessen dunkler Umriss vor der Sonnenscheibe aufragte.
    Was die Welt im Innersten zusammenhält, das Onta: Da hatte er es erfahren – und konnte dieses Erlebnis doch bis heute nicht angemessen ausdrücken. Anders als den meisten war ihm sofort und mit der sturen Gewissheit des Kindes klar gewesen, zu den Wenigen zu gehören. Er wusste noch, dass er gleich »Atyersus!« gerufen und einen Schwindel verspürt hatte, der daher rührte, dass sein Leben nun nicht mehr von seiner Kaste, seinem Vater und der Vergangenheit bestimmt sein würde.
    Als Kind hatte es ihn tief beeindruckt, wenn die Mandati durch sein Fischerdorf gezogen waren. Erst hatte man Becken schlagen hören, dann verhüllte Gestalten auftauchen sehen, deren durch Sonnensegel geschützte Sänften von Sklaven getragen wurden und die eine erotische Aura des Geheimnisses umgab. Wie unnahbar sie schienen! An ihre unbeteiligt wirkenden Gesichter ließen sie nur edelste Kosmetika, und ihre Mienen drückten die schickliche Verachtung für die Fischer und deren Söhne aus, für Angehörige einer niedrigen Kaste also. Nur Menschen mythischen Formats konnten hinter solchen Mienen verborgen sein – Menschen, die damit rechneten, dass einmal Sagas von ihrem Ruhm als Drachentöter und Königsmörder, Propheten und Scheusale künden würden.
    Kaum aber war er in Atyersus ein paar Monate lang unterrichtet worden, war seine kindliche Bewunderung geschwunden. Abgestumpft, wichtigtuerisch und maßlos selbstverliebt waren ihm die Mandati nun erschienen – nur dass Atyersus erheblich mehr hermachte als sein kleines Fischerdorf.
    Bin ich so anders als er?, fragte sich Achamian und musterte den Kapitän aus dem Augenwinkel. Eigentlich nicht, dachte er, ignorierte ihn aber dennoch und blickte wieder Richtung Sumna, das vor den dunklen Hügeln im Dunst lag.
    Und doch war er anders: Er hatte so viele Sorgen und bekam so kargen Lohn. Und bei einem Wutanfall konnte er Stadttore wegfegen und Mensch und Tier in Staub verwandeln. So viel Macht zu besitzen und doch die gleichen Eitelkeiten und Ängste zu haben wie alle anderen… Und obendrein viel schlimmere Launen! Er hatte erwartet, das Mythische werde ihm Erhebung bescheren und jede seiner Handlungen mit schillerndem Firnis versehen, tatsächlich aber fühlte er sich verloren und ausgesetzt… Distanz erleuchtet niemanden. Er könnte dieses Schiff in ein flammendes Inferno verwandeln und dann unverletzt übers Wasser schreiten, und doch könnte er sich nie… sicher sein.
    Das hätte er beinahe halblaut vor sich hin geflüstert.
    Der Kapitän ließ ihn kurze Zeit allein und wirkte sichtlich erleichtert, von der Mannschaft gerufen worden zu sein. Der Lotse hatte das schlingernde Schiff betreten.
    Warum halten alle Distanz zu mir? Dieser quälende Gedanke ließ Achamian den Kopf senken und in die dunkle Tiefe starren. Wen verachte ich denn?
    Doch die Frage enthielt schon die Antwort. Wie sollte er sich nicht isoliert und distanziert fühlen, da das Leben prompt seinen Beschwörungsformeln gehorchte? Wo war das sichere Fundament, wenn bloße Worte alles vernichten konnten? Unter den Gelehrten im Gebiet der Drei Meere war es seit langem üblich, Hexenmeister mit Dichtern zu vergleichen. Das war Achamian stets absurd erschienen, denn er konnte sich kaum zwei Talente denken, die miteinander so tragisch über Kreuz lagen wie gerade diese beiden. Kein Hexenmeister hatte mit seinen Worten – von politischen Machenschaften abgesehen – je etwas anderes bewirkt als Angst. Die Macht und die strahlenden Blitze gingen unwiderstehlich in immer die gleiche Richtung, und diese Richtung war falsch, denn sie führte allein in die Zerstörung. Menschen konnten die Sprache Gottes anscheinend nur nachäffen, und was immer dabei herauskam, war schlechter und roher als das, was Gottes Gesang erschaffen hatte. Wenn Hexer singen, sterben Menschen – so lautete ein Sprichwort.
    Wenn Hexer singen… Und doch war er sogar seinesgleichen ein Gräuel. Die anderen Orden würden den Mandati ihr Erbe – also den Besitz der Gnosis, der Zauberkunde des Alten Nordens – nie verzeihen. Vor ihrer Auslöschung hatten die großen Orden des Nordens Förderer gehabt, die sie wie Lotsen an Untiefen vorbeiführten, deren Tücke sich kein Mensch vorstellen konnte. Sie besaßen die Gnosis der Nichtmenschlichen Magier, der Quya, und hatten sie tausend

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