Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
Vom Netzwerk:
erinnern.«
    »Stimmt, das dürften schon deine Falten besorgen.«
    Istriya kreischte und ging auf ihn los wie zu Kinderzeiten. Doch ihr riesiger Eunuch Pisathulas hielt sie mit Fäusten zurück, die ihre Unterarme klein erscheinen ließen, und sein rasierter Schädel wippte panisch verblüfft auf und ab.
    »Warum nur hab ich dich nicht getötet?«, schrie sie. »Mit deiner Nabelschnur hätte ich dich ersticken sollen!«
    Unerklärlicherweise begann Xerius zu lachen. Alt und verängstigt! Erstmals wirkte sie matt und weit entfernt von der unbeugsamen und alles wissenden Matriarchin, als die sie ihm stets erschienen war. Seine Mutter sah mitleiderregend aus.
    Dieser Anblick war fast den Verlust eines Kaiserreichs wert.
    »Bring sie in ihre Gemächer«, sagte er zu dem Hünen. »Und sorg dafür, dass meine Ärzte sich um sie kümmern.«
    Unter Geifern und Kreischen wurde Istriya gewaltsam von der Terrasse entfernt, und ihr blutrünstiges Geschrei verlor sich bald in den endlosen Fluren des riesigen Palasts.
    Die satten Farben des Sonnenuntergangs waren inzwischen zu den bleichen Nuancen der Abenddämmerung verblasst. Nur dort, wo die Sonne am Horizont versunken war, leuchteten die Wolken von unten her noch dunkelrot. Xerius stand für einige Augenblicke einfach nur da, atmete tief durch und rang die Hände, um sein Zittern zu beruhigen. Seine Leute beobachteten ihn nervös aus den Augenwinkeln.
    Schließlich brach Gaenkelti die Stille. Sein Norsirai-Erbe ließ ihn freimütiger reden als schicklich: »Gottgleicher Kaiser – darf ich etwas sagen?«
    Xerius machte eine Geste verärgerter Zustimmung.
    »Eure Frau Mutter, gottgleicher Kaiser… Was sie gesagt hat…«
    »Ihre Ängste sind gerechtfertigt, Gaenkelti. Sie hat nur ausgesprochen, was uns allen durch den Kopf geht.«
    »Aber sie hat gedroht, Euch zu töten!«
    Xerius schlug den Hauptmann mit voller Wucht ins Gesicht. Der blonde Soldat ballte einen Moment lang die Fäuste und lockerte die Hände dann wieder. Er starrte zornig auf die Füße seines Herrn. »Entschuldigt, gottgleicher Kaiser. Ich hatte bloß befürchtet…«
    »… und zwar ganz überflüssig«, unterbrach Xerius ihn barsch. »Die Kaiserin wird alt, Gaenkelti. Der Ebbstrom des Verfalls hat sie weit hinaus aufs graue Meer getragen – so weit, dass sie die Orientierung verloren hat.«
    Gaenkelti fiel zu Boden und presste die Lippen aufs rechte Knie des Kaisers. »Das reicht«, sagte Xerius und zog seinen Hauptmann auf die Beine. Er ließ die Fingerkuppen auf den herrlichen blauen Tätowierungen ruhen, die die Unterarme des Mannes bedeckten. Seine Augen brannten, und sein Kopf tat weh, aber er verspürte eine ganz außerordentliche Ruhe.
    Er wandte sich an Skeaös. »Jemand hat dir eine Botschaft gebracht, alter Freund – eine Nachricht von Conphas?« Eine heikle Frage, die aber dadurch, dass der Kaiser sie fast tonlos stellte, merkwürdig belanglos wirkte.
    Als der Berater zögerte, kehrte das Zittern zurück.
    Bitte… Sejenus, bitte.
    »Nein, gottgleicher Kaiser.«
    Vor Erleichterung wurde Xerius ganz schwindelig, und er wäre beinahe ins Taumeln geraten.
    »Nun, worum handelt es sich dann?«
    »Die Fanim haben als Antwort auf Euren Verhandlungswunsch einen Gesandten geschickt.«
    »Gut… gut!«
    »Aber nicht irgendeinen, gottgleicher Kaiser.« Skeaös fuhr sich mit der Zunge über die dünnen Altmännerlippen. »Einen Cishaurim. Die Fanim haben einen Cishaurim geschickt.«
    Das Abendlicht verging – und mit ihm, so schien es, alle Hoffnung.
    Der kleine Hof, den Gaenkelti als Treffpunkt bestimmt hatte, war rings von winzigen Kirschbäumen und Stechpalmen umstanden, und die Kohlenbecken warfen ein unruhig flackerndes Licht. Xerius umklammerte sein Chorum, bis die Fingerknöchel schmerzten, spähte ins Halbdunkel der anschließenden Säulenhallen, zählte gedankenverloren seine nur schemenhaft sichtbaren Männer und wandte sich dann an den schlanken Hexenmeister zu seiner Rechten – an Cememketri, den Hochmeister der Kaiserlichen Ordensleute.
    »Habt Ihr genug?«
    »Mehr als genug«, antwortete Cememketri unwillig.
    »Etwas mehr Respekt, wenn ich bitten darf, Hochmeister«, raunzte Skeaös, der links von Xerius stand. »Unser Kaiser hat Euch eine Frage gestellt.«
    Cememketri beugte steif und anscheinend widerwillig den Kopf. In seinen großen feuchten Augen spiegelte sich der Schein zweier Flammen. »Hier im Hof sind drei von uns, gottgleicher Kaiser, und in den Säulenhallen ringsum warten

Weitere Kostenlose Bücher