Schattenfehde - Verschwoerung gegen Hessen und Kurmainz
du gerade erlebst, ist die Bürde einer besonderen Gabe. Eine Bürde deshalb, weil du das Gute noch nicht zu deuten weißt. Alles, was du siehst, ist vielleicht möglich und kann geschehen. Es muss nicht, aber es kann!“
„Aber ist dann nicht alles möglich? Jeder Mensch träumt doch?“, fragte Berthold verständnislos.
„Wer weiß, vielleicht ist tatsächlich alles möglich? Vielleicht sind deine Träume im Gegensatz zu den Bildern der anderen Menschen eine sicherere Möglichkeit, die das Schicksal für dich bereithält. Ich weiß es nicht.“
„Ich kann dir nicht ganz folgen“, gestand Berthold offen.
„Nun, ich will es dir anders erklären. Aber bedenke, dies ist nur die Deutung eines dummen, ungebildeten Knechts, nicht mehr. Sieh, wenn ein einfacher Bauer etwa träumt, er würde sich, sagen wir einmal, als Herr und Graf über Babenhausen sehen, dann ist es so gut wie unmöglich, dass dies irgendwann einmal eintrifft. Und ein jeder, dem er von seinem Traum berichtete, würde ihn sicher auslachen oder für verrückt halten. Dass ein Bauer adelig wird, kann nur passieren, wenn es das Schicksal aus einer Laune heraus will. So etwas nennt man dann Märchen oder Wunder. Und dass Wunder wahr werden, ist doch sehr, sehr unwahrscheinlich – das musst du zugeben. Oder sind dir solche Fälle außer in der Heiligen Schrift bekannt?“
Berthold schüttelte den Kopf.
„Nun zu dir. Wenn du hingegen denselben Traum träumst, dich selbst oder jemand anderen also vom einfachen Menschen zum Grafen aufsteigen siehst, dann mag das genauso albern klingen, aber es scheint mir wahrscheinlicher. Denn für das Schicksal ist dies eine der sicheren Möglichkeiten, die es für dich oder denjenigen, von dem du geträumt hast, bereithält. Verstehst du, was ich meine?“
Petz sah Berthold eindringlich an, der erschrocken aufsprang und „Das ist Zauberei, Hexerei und Magie!“ rief. Petz zuckte teilnahmslos mit den Schultern.
„Und wenn schon. Aber das glaube ich nicht. Zauberei wäre es, wenn du absichtlich etwas träumtest und es dann tatsächlich einträfe. Du hingegen träumst zwar oft von Dingen, die sich dann wirklich so oder ähnlich zutragen, doch suchen dich deine Träume unwillkürlich heim, ohne dass du sie aus eigenem Willen herbeirufen könntest.“ Grinsend fügte Petz hinzu: „Aber vielleicht kannst du das auch noch erlernen. Ich hatte noch nie einen Zauberer zum Freund.“
Berthold stand aufgebracht vor Petz und rief: „Ich kann der ganzen Sache nichts Lustiges abgewinnen! Ich habe vielleicht mein Leben und das meiner Familie und meiner Verlobten zerstört mit dieser Bürde, die du Gabe schimpfst!“
„Setz dich und hör mir zu!“, sagte Petz mit beruhigender Stimme und fuhr fort: „Ich verstehe dich nur zu gut. Du machst dir Vorwürfe. Wer oder was auch immer dir diese Bilder ins Hirn malt, eines ist gewiss: Du kannst nichts dafür! Und auch, dass du deine Gabe als Hexerei begreifen musst, kann ich nachvollziehen. Hat man dich doch seit jeher gelehrt, dass so etwas nicht normal sein kann. Auch mir erscheint es zwar seltsam, aber ich glaube nicht an Hexerei oder Zauberei. Das ist etwas für kleine Kinder und die Kirche. Vielleicht solltest du auf dich und den rechten Glauben setzen, denn nur der gute Mensch ist frei von Bösem. Ich denke, du solltest endlich aufhören, dich gegen deine Träume zu wehren. Lass sie zu, deute sie. So kannst du dir wahrscheinlich selbst die Antworten auf die meisten deiner Fragen geben. Denn vergiss eines nicht: Bislang scheinen dich deine Träume nur selten getäuscht zu haben, habe ich recht?“
Berthold sank in sich zusammen und stammelte abgehackt: „Aber … das bedeutet, dass mein Vater tot ist … und meine Mutter und Robert verschleppt wurden von einem dunklen Reiter.“
„Berthold“, hob Petz tröstend an und nahm dessen Hände, „nein, das bedeutet es nicht unbedingt. Der dunkle Reiter steht sicher nicht für die Jungfrau Maria oder einen Engel, aber das heißt doch noch gar nichts. Vielleicht ist er nur ein Zeichen für etwas? Aber was schwätze ich von Dingen, die ich nicht verstehe. Auch ich weiß es natürlich nicht. Du hast schließlich diese Gabe, nicht ich.“
Tränen liefen über Bertholds Gesicht, als er ausrief: „Petz, aber was ist die Wahrheit? Wer bin ich, wer bist du? Warum haben wir uns getroffen? Was geschieht hier?“
„Warte ab, hab Geduld. Du wirst die Wahrheit eines Tages erfahren. Sie kann sich nicht auf ewig vor dir verstecken, wenn
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