Schattenfehde - Verschwoerung gegen Hessen und Kurmainz
dabei um Macht und vor allem Geld.
Dieser Kaufmann schmuggelte Petz auch aus der Stadt und brachte ihn hierher. Da mich seine Geschichte rührte und ich ohnehin gerade eine helfende Hand gebrauchen konnte, nahm ich Petz auf, für dessen bedingungslose Aufrichtigkeit und Treue sich der Kaufmann verbürgte. Seither lebt er bei uns, doch leider kann ich ihm nicht mehr bieten als diese Anstellung als Knecht.“
„Er hat es nicht gerade leicht gehabt“, sagte Berthold betroffen.
„Nein, gewiss nicht. Aber er hat sein Herz am rechten Fleck – und das zählt.“
Berthold nickte. „Ich weiß.“
„Aber weißt du, was merkwürdig ist?“
„Nein.“
„Petz hat schon immer gesagt, dass er eines Tages einen jungen Mann treffen würde, der seine Hilfe benötigen würde. Und dann tauchst du plötzlich hier auf. Seltsam nicht wahr? Ich meine, ich glaube nicht an solchen Kram, aber es ist schon merkwürdig, oder?“
„Ja, ziemlich merkwürdig“, entgegnete Berthold, der sichtlich blass geworden war.
Nichts war Zufall.
Berthold schreckte aus seinem Traum auf und blickte schlaftrunken um sich. Er brauchte eine Weile, um sich zu besinnen, wo er war. Er spürte die schweißnassen Kleider auf seiner Haut und fühlte das feuchtwarme Stroh unter sich. Wie spät mochte es sein? Er erhob sich und tastete sich langsam und zitternd zum Dach des Heubodens vor, wo sich eine Luke befand. Er stützte seine Hände an den Rahmenhölzern ab und lehnte sich hinaus in die frische Nachtluft. Eine Fledermaus huschte dicht an seinem Gesicht vorbei und streifte seine Haare mit ihren Flügeln. Es musste schon weit nach Mitternacht sein und war stockfinster. Es war Neumond.
Berthold sog die nachtfrische Sommerluft tief ein und sein Herzschlag verlangsamte sich wieder. So stand er einige Minuten da, sah in die Nacht hinaus, in der es nichts zu sehen gab, und horchte in sich selbst hinein. Er versuchte die Gedankenfetzen des erlebten Traumes miteinander zu verbinden. Ein Adler und eine Krone. Warum ein Adler? Welche Krone?
Berthold dachte angestrengt nach und versuchte seinen Traum zu deuten, dessen Bilder nun wieder deutlicher zurückkehrten. Der Adler war plötzlich am Himmel aufgetaucht und zog seine langen Kreise zwischen den Wolken. Majestätisch schwebte er, seine Flügel kaum schlagend, hoch oben mit den leichten Winden umher, den scharfen Blick stets spähend nach unten gerichtet. Berthold war neben ihm, so dicht, dass er die Spiegelung der Wolken in seinem rechten Auge erkennen konnte. Das linke fehlte ihm. Aus dem Nichts bohrte sich plötzlich ein Pfeil in die Brust des Adlers und sein schriller Todesschrei gellte Berthold in den Ohren. Blut ergoss sich in die Welt. Es war überall, die Wolken sogen es auf, schnurrten zusammen und waren bald nur noch blutig tropfende Schwämme. Der Adler bebte und seine Schwingen krümmten sich zuckend. Trudelnd stürzte er in die Tiefe und Berthold fiel mit ihm. Schneller und schneller stürzten sie hinab. Alles drehte sich. Himmel, Erde und Wolkenfetzen rasten an ihnen vorbei. Dann schlugen sie auf. Sekundenlange Stille umgab Berthold, der sah, wie das Auge des Adlers brach. Aus der Pfeilwunde in seiner Brust rann Blut und sickerte in den schwarzbraunen Mutterboden …
„Es wird Zeit“, sagte plötzlich eine tiefe Stimme hinter ihm. Berthold, der niemanden hatte kommen hören, fuhr erschrocken herum und war erleichtert, als er Petz erkannte.
„Zeit wofür?“, fragte er erstaunt.
„Du musst dich jetzt entscheiden, Berthold“, antwortete Petz. „Wählst du die Erkenntnis und beschreitest den Weg, der dir vorbestimmt ist, oder verbleibst du mit deinen Träumen und quälenden Gedanken in deinem bisher gewohnten Leben? Du musst die Wahrheit suchen, sie kommt nicht zu dir! Doch wenn du dich für sie entscheidest, so gibt es keine Umkehr. Entscheidest du dich hingegen für das Weiterleben in Unwissenheit, so wird dein Schicksal immer in der Hand anderer liegen und du wirst der Wahrheit hinterherhetzen wie ein räudiger Hund einem Stück Kadaver – gnadenlos verfolgt von denen, die dein Leben bestimmen.“
Petz machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Eines haben jedoch beide Möglichkeiten gemeinsam. Ihr Ausgang ist ungewiss. Es gibt für niemanden von uns eine Gewähr für Glück oder den Anspruch auf ein angst- und sorgenfreies Leben. Aber du hast die Macht, selbst zu entscheiden, wie dein Weg verlaufen soll. Und glaube bloß nicht, du hättest nichts mehr zu verlieren!
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