Schattenfehde - Verschwoerung gegen Hessen und Kurmainz
Peter Graychen schüttelte fassungslos den Kopf. „Dann bist du ein toter Mann“, flüsterte er.
Berthold ergriff die zitternden Hände seines Vaters und sagte: „Tot bin ich, wenn ich bleibe, Vater.“
„Wie lange willst du fortgehen?“, fragte Robert tonlos.
„Ich weiß es nicht“, antwortete Berthold leise und schwieg für einen Moment. Dann fuhr er traurig fort: „Es kann sein, dass ich für eine sehr lange Zeit nicht wieder hierher zurückkommen kann. So lange Vogt Etzelroth im Amt ist, scheint mir eine Rückkehr unmöglich zu sein. Dieser verruchte Mörder ist zäh und leider noch äußerst gesund und kräftig für sein Alter.“
„Aber wann willst du denn fort und wohin willst du gehen?“, fragte seine Mutter schluchzend.
Berthold antwortete bestimmt: „Ich werde schon übermorgen in aller Frühe gehen. Ich brauche noch einen Tag für die Vorbereitungen und will mich von Katharina verabschieden. Sie weiß es noch nicht. Selbst Etzelroth wird am Sonntag eher in die Kirche gehen, als Menschen zu verhaften. Er ist sich seiner Sache auch so sicher. Wenn er nach mir schickt, verleugnet mich einfach. Sagt ihm und seinen Schergen, ich sei auf und davon. Ihr wüsstet nicht wohin. Nur so seid ihr sicher.“
Berthold sah seinen Eltern und seinem Bruder traurig in die Augen. Er war sich sicher, dass er nicht anders handeln konnte. In diesem Augenblick war ihm jedoch auch bewusst, dass es für ihn keine Zukunft als zukünftigen Hübner des Hofguts Graychen geben würde. Robert würde das Lehen erben und es sicher nicht wieder aushändigen, selbst wenn Etzelroth eines Tages vor seinen Schöpfer treten und er selbst zurückkehren sollte. Das schöne Bild einer sicheren Zukunft inmitten seiner Familie und mit Katharina an seiner Seite zerfiel. Was blieb, waren Ungewissheit und Angst.
Peter Graychen nickte zögerlich.
„Gut, wenn das dein Wille ist. Ich kann es dir nicht verbieten und wenn ich es täte, was würde es nützen? Es ist dein Leben, Berthold, und du bist alt genug, um zu wissen, was du tust. Vielleicht hast du recht. Aber sieh dich vor: Sie werden dich verfolgen. Traue keinem. Wenn unsere Wege sich aber auf diese Weise trennen, dann will ich dir wenigstens so viel Hilfe sein, wie ich nur kann. Du erhältst eine kleine Barschaft von uns, die dir am Anfang helfen soll, sowie Proviant für drei Tage. Ich werde dir ein Schreiben an meinen alten Freund Walther Köppler aufsetzen. Ich habe ihn leider schon einige Jahre nicht mehr gesehen, aber ich hoffe, er wird sich unserer alten Bande in dieser dunklen Stunde noch erinnern und dir helfen. Walther ist Baumeister in Babenhausen in der Babenhäuser Mark. Bis dahin reicht der Arm des Vogtes hoffentlich nicht. Die Stadt gehört zur Grafschaft Philipps I., des Älteren, von Hanau-Lichtenberg, mit dem Etzelroth sicher keine Händel suchen wird. Walther soll dir fürs Erste Arbeit, Brot und ein Dach über dem Kopf geben. Aber dann musst du selbst weitersehen.“
„Danke, Vater“, flüsterte Berthold gefasst und verließ den Raum, um in seine Kammer zu gehen. Er musste jetzt allein sein.
Am nächsten Tag ritt er gegen Mittag vom Hof des Gutes in Richtung des Feldes oberhalb des alten Steinbruchs. Schon immer war Berthold gern hierher gekommen, wenn er allein sein oder sich heimlich mit Katharina treffen wollte. Ein alter Pfad führte durch den Forst und nach etwa einigen hundert Schritten gaben die Bäume den Blick auf eine Lichtung frei, an deren rechter Seite sich ein steiler, fast turmhoher Abhang befand. Direkt oberhalb des Abhangs lag ihre Wiese. Berthold liebte diesen Ort. Immer war es hier ruhig und einsam, ganz gleich, zu welcher Stunde man herkam. Er stieg von Calamus und band ihn an einen Baum am Rand der Lichtung. Die Wiese war nicht groß, nur etwa einhundert mal fünfzig Schritte. Das Gras wuchs auch in den Sommermonaten nicht hoch, da der Boden mit kleinen Steinen besetzt und außerdem sehr lehmig war. Nur die saftigen Ränder der Lichtung wurden spätestens ab Ende Mai von zahlreichen Wildblumen und blühenden Gräsern eingefasst. Genau gegenüber erhob sich der knorrige und morsche, aber immer noch stattliche Stumpf einer Eiche, die Sturm und Blitz vor vielen Jahren gefällt haben mussten. Er ragte etwa zehn Ellen aus dem Boden und war an seinem oberen Ende zerfranst und zersplittert, so als hätte ihn ein wütender Riese abgebrochen wie einen trockenen Zweig. Zwei erwachsene Männer hätten Mühe gehabt, ihn zu umfassen. Der
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