Schattenfeuer
wahren. Andererseits: Wenn diese Annahmen den Tatsachen entsprachen, sollte eigentlich jede Veränderung ein funktionelles Ziel anstreben und in direkter Verbindung mit der einen oder anderen prähumanen Gestalt stehen. Doch das schien nicht der Fall zu sein. Die pulsierenden Arterien in Erics Gesicht, die knochigen Höcker, hornigen Auswüchse und Schuppenfladen bildeten ein chaotisches Durcheinander und ließen sich in keinen Zusammenhang mit irgendeinem bekannten Geschöpf in der Evolutionshierarchie bringen. Das traf auch auf den Buckel zu. Rachael vermutete, daß die sichtbaren Veränderungen nicht nur auf programmatische Stimulationen aus dem Genpool des biologischen Erbes zurückgingen, sondern auch den Auswirkungen mutierter Gene zugeschrieben werden mußten, die einen ziellosen Strukturwandel bewirkten. Möglicherweise wurde Eric zu einem völlig fremdartigen Wesen, das überhaupt nichts Menschliches mehr an sich h atte.
»Rachael...«
Seine Zähne liefen spitz zu.
»Rachael...«
Die graublauen Pupillen seiner Augen waren nicht mehr
rund, sondern verformten sich zu vertikalen Ovalen, so wie bei Schlangen. Ganz zweifellos nicht mehr die Augen eines Menschen - obgleich sich noch kein Ende der Metamorphose absehen ließ.
»Rachael...«
Die Nase - wesentlich flacher und breiter als vorher.
»Rachael... bitte... bitte...« Auf mitleiderweckende Art
und Weise streckte er ihr eine monströse Hand entgegen, und in seiner rauhen Stimme vibrierten Kummer und Verzweiflung -und ein sehnsüchtiges Verlangen, das nicht nur Rachael überraschte, sondern auch Eric selbst. »Bitte... bitte... ich möchte...«
»Eric«, sagte sie, und die eigene Stimme kam ihr ebenso fremd vor wie die Erics. Grauen und Trauer hielten sich in ihr die Waage. »Was willst du?«
»Ich... ich möchte... möchte... mich nicht...«
»Ja?«
».. .fürchten...«
Rachael wußte nicht, was sie sagen sollte.
Eric trat einen Schritt auf sie zu.
Die junge Frau wich sofort zurück.
Der Mann -das Etwas - taumelte weiter, und Rachael
stellte fest, daß er Probleme mit seinen Füßen hatte. Sie schienen sich ebenfalls verändert zu haben, entsprachen vielleicht nicht mehr der Form der Stiefel.
Rachael wahrte die Distanz zu ihm.
»Ich will... dich...« preßte Eric hervor, keuchte und schnaufte so sehr, als sei es eine Qual, diese Worte zu formulieren.
»Eric«, erwiderte Rachael leise und voller Mitgefühl.
».. .dich... dich...«
Drei rasche Schritte, wie kleine Sprünge. Und Rachael
konnte es nicht ertragen, ihn näher herankommen zu lassen.
Mit düsterer Grabesstimme sagte Eric: »Weis mich... nicht
ab .. Rachael... bitte... nicht...« »Ich kann dir nicht helfen, Eric.« »Weis mich nicht zurück.« »Es gibt niemanden mehr, der dir helfen könnte, Eric.« »Weis mich nicht... erneut zurück.« Rachael besaß keine Waffe, hielt nur die Wagenschlüssel in
der einen und die Tasche in der anderen Hand, bedauerte es nun sehr, die Pistole im Mercedes gelassen zu haben. Einmal mehr setzte sie sich in Bewegung und wich fort von Eric.
Er gab ein wütendes Knurren von sich, bei dem es Rachael trotz der Junihitze kalt über den Rücken lief - und stürmte direkt auf sie zu.
Sie warf ihre Handtasche nach ihm, wirbelte um die eigene Achse und hastete in die Wüste hinter dem Rastplatz. Der weiche Sand gab unter ihren Schuhen nach, und mehrmals lief sie Gefahr, sich einen Fuß zu verstauchen. Nur mit Mühe wahrte sie das Gleichgewicht, hastete weiter, spürte, wie die trockenen Zweige von Büschen an ihren Beinen entlangstrichen. Rachael zog den Kopf ein, winkelte die Arme an und rannte, rannte so schnell wie möglich. Der Tod war ihr dicht auf den Fersen.
Als Eric Rachael auf dem Gehweg vor dem Waschraum sah, überraschte ihn seine eigene Reaktion. Beim Anblick ihres hübschen Gesichts, des tizianroten Haars und ihres prächtigen Körpers, neben dem er einst gelegen hatte, entstand Kummer in ihm. Plötzlich bedauerte er es zutiefst, sie nicht besser behandelt zu haben, und das Gefühl des Verlustes war schier unerträglich. Das Feuer des kalten Zorns in ihm erlosch, und menschlichere Empfindungen erschütterten das mentale Fundament seiner Wut. Tränen brannten in seinen Augen. Das Sprechen fiel ihm schwer, nicht nur aufgrund des veränderten Kehlkopfes, sondern vor allen Dingen wegen der Verzweiflung, die alle Winkel seines Ichs ausfüllte. Aber sie wies ihn erneut zurück und bestätigte damit seinen schlimmsten Verdacht, der sich auf einem
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