Schattenfeuer
getrennt? Wo war die Frau jetzt? Bestand die Möglichkeit, daß Shadway und Mrs. Leben irgendwelche Unterlagen in die Hand bekamen, die das Geheimnis des Projekts Wildcard bedrohten?
Trotz all der dringenden Probleme und der Tatsache, daß die Operation am Lake Arrowhead zu einer demütigenden Niederlage geführt hatte, offenbarte Anson Sharp einen enormen Appetit. Er aß zwei gebratene Hähnchen und nahm sich anschließend die Kartoffeln vor. Angesichts des Umstandes, daß er seine berufliche Zukunft in Gefahr brachte, indem er bei diesem Fall persönliche Erwägungen -seinen Wunsch, an Ben Shadway Rache zu nehmen - über die Ziele der Defense Security Agency stellte, erschien es eher unwahrscheinlich, daß er sich einfach hinlegen und den unschuldigen und sorgenfreien Schlaf eines Kindes genießen konnte. Doch als er sich auf dem Bett ausstreckte, brauchte er keine Ruhelosigkeit zu befürchten. Er war schon immer in der Lage gewesen, auf der Stelle einzuschlafen, ganz gleich, mit welcher Situation er es zu tun hatte.
Immerhin handelte es sich bei ihm um einen Mann, dessen einziges Interesse ihm selbst galt. Außerdem glaubte er fest daran, allen anderen Leuten überlegen zu sein, und deshalb verlor er nicht gleich den Mut, wenn er auf unerwartete Schwierigkeiten stieß. Er hielt Pech und Enttäuschungen für vorübergehende Erscheinungen, für unbedeutende Anomalien auf einem ansonsten geraden und hindernisfreien Weg zu Erfolg und Anerkennung.
Bevor er zu Bett ging, gab er Nelson Gosser den Auftrag, Peake einige Anweisungen zu übermitteln. Dann telefonierte er mit dem Motelportier, bat darum, nicht gestört zu werden, zog die Vorhänge zu und machte es sich auf der weichen Matratze bequem.
Als er an die dunkle Decke starrte, dachte er an Shadway und lachte leise.
Der arme Ben fragte sich bestimmt, wie es ihm möglich gewesen war, in der DSA Karriere zu machen -obgleich man ihn vor ein Kriegsgericht gestellt und unehrenhaft aus der Marine entlassen hatte. Genau darin bestand das eigentliche Problem Bens: Er ging von der falschen Annahme aus, es gebe verschiedene Verhaltensformen, moralische und unmoralische. Er gab sich der Illusion hin, gute Taten könnten irgendwann mit Belohnung rechnen -und Verfehlungen hätten Strafe zur Folge, Unglück und Kummer.
Anson Sharp hingegen wußte, daß es keine abstrakte Ge rechtigkeit gab. Strafe drohte nur dann, wenn man anderen Menschen die Möglichkeit gab, Vergeltung zu üben. Altruis mus und Fair play wurden keineswegs automatisch belohnt.
Seiner Ansicht nach handelte es sich bei Moral und Verderbtheit um bedeutungslose Begriffe. Im alltäglichen Leben ging es nicht darum, zwischen Gut und Böse zu wählen, sondern zwischen den Dingen, die individuelle Vor-oder Nachteile versprachen. Nur ein Narr konnte Entscheidungen treffen, die nicht in erster Linie dem eigenen Wohl galten.
Diese außerordentlich nützliche Philosophie hatte Anson Sharp in die Lage versetzt, alle Schandflecke seiner Vergangenheit auszuradieren, ohne Gewissensbisse zu bekommen. In diesem Zusammenhang erwiesen sich seine Kenntnisse in Hinblick auf Computer und ihr Leistungsvermögen als recht hilfreich.
In Vietnam war Sharp imstande gewesen, große Nachschublieferungen spurlos verschwinden zu lassen, weil einer seiner Komplizen -Corporal Eugene Dalmet - als Computeroperator im Divisions-Hauptquartier arbeitete. Die elektronische Datenverarbeitungsanlage gab Sharp und Dalmet die Möglichkeit festzustellen, wann und wo die nächste Lieferung erfolgte -und auf der Grundlage dieser Informationen war es nicht weiter schwer, einen geeigneten Zeitpunkt für den Diebstahl zu bestimmen. Später gelang es Dalmet häufig, die entsprechenden Dateien im Rechnerspeicher zu loschen und auf diese Weise alle Spuren zu verwischen.
Nach der unehrenhaften Entlassung kehrte Anson Sharp in die Vereinigten Staaten zurück, fest entschlossen, sein Wissen um die wunderbaren Fähigkeiten von Computern nutzbringend anzuwenden.
Sechs Monate lang befaßte er sich intensiv mit der Computerprogrammierung, arbeitete Tag und Nacht und vergaß alles andere -bis er nicht nur zu einem erstklassigen Operator wurde, sondern auch zu einem ausgezeichneten und überaus fähigen Hacker.
Er kam bei Oxelbine Placement unter, einer Arbeitsvermittlung, die groß genug war, um einen Computerspezialisten zu benötigen, deren Geschäfte jedoch noch nicht solche Ausmaße gewonnen hatten, daß sie eine Rufschädigung befürchten mußte, weil sie
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