Schattenfeuer
Hauses, die finsteren Schemen der Büsche und Sträucher auf der anderen Seite. Abrupt beugte sie sich vor und betätigte die Zentralverriegelung. Es wurde warm im Wagen, und sie wußte, daß es besser gewesen wäre, die Fenster zu öffnen. Doch sie hielt es für sicherer, sie geschlossen zu lassen.
»Erzähl mir, was du erlebt hast«, wandte sich Rachael wieder an das junge Mädchen. »Erzähl mir alles.«
Sarah versuchte zu antworten, doch ihre Stimme bebte, und sie brachte nur ein heiseres Krächzen hervor. Sie begann zu zittern.
»Ganz ruhig«, sagte Rachael. »Hier droht dir keine Gefahr mehr.« Sie hoffte, das entsprach der Wahrheit. »Du bist jetzt in Sicherheit. Wer hat dir all das angetan?«
Im matten Schein der Leselampe wirkten Sarahs Wangen aschfahl. Sie räusperte sich und flüsterte: »Eric. Er hat mich... geschlagen.«
Diese Auskunft überraschte Rachael nicht, und doch entstand eisige Kälte tief in ihrem Innern. Einige Sekunden lang
war sie sprachlos. »Wann? Wann hat er dich geschlagen?«
»Er kam... eine halbe Stunde nach Mitternacht.«
»Lieber Himmel -und wir trafen nur eine knappe Stunde später ein. Er muß das Haus kurz vor uns verlassen haben.«
Seit dem Verlassen des Leichenschauhauses hoffte Rachael darauf, Eric einzuholen, ihn zu stellen, und eigentlich hätte sie mit einer gewissen Zufriedenheit auf die Erkenntnis reagieren müssen, ihm so dicht auf den Fersen zu sein. Statt dessen aber begann ihr Herz zu hämmern, so heftig und wild, daß sie glaubte, es müsse ihr die Brust zerreißen.
»Er klingelte, und als ich die Tür öffnete, hieb er sofort auf mich ein... schlug immer wieder zu.« Sarah schluckte. »Er schleuderte mich zu Boden und trat nach meinen Beinen...«
Rachael erinnerte sich an die häßlichen, blaugrünen Flekken an Sarahs Oberschenkeln.
»... griff nach meinem Haar...«
Rachael hielt die linke Hand des jungen Mädchens.
».. .zerrte mich ins Schlafzimmer...«
»Und dann?«
»... riß er mir den Pyjama vom Leib, Sie wissen schon, und... zog weiter an meinem Haar und hieb mit den Fäusten auf mich ein...«
»Hat er dich zuvor jemals geschlagen?«
»N-nein. Er war ein wenig grob, gab mir die eine oder andere Ohrfeige. Das ist alles. Heute nacht aber... heute nacht war er ganz außer sich... so voller Haß.«
»Hat er irgend etwas gesagt?«
»Nicht viel. Er fluchte, bedachte mich mit ziemlich üblen Schimpfworten. Und seine Sprechweise war... irgendwie eigenartig, undeutlich.«
»Wie sah er aus?« fragte Rachael.
»O Gott...«
»Beschreib ihn mir.«
»Einige Zähne waren schief. Überall Quetschungen. Und Schnitte. Schlimm.«
»Wie schlimm?«
»Er war... grau.«
»Was ist mit seinem Kopf, Sarah?«
Die Finger des jungen Mädchens schlossen sich fester um Rachaels Hand. »Sein Gesicht war... aschfahl.«
»Und sein Kopf?«
»Er... er trug eine Wollmütze, als er zu mir kam, hatte sie tief heruntergezogen. Doch als er mich schlug... als ich versuchte, mich zur Wehr zu setzen... verrutschte sie...«
Rachael wartete.
Sarah schwitzte, und ein säuerlicher Geruch erfüllte die Luft im Wagen.
»Sein Kopf war... halb zertrümmert«, sagte Sarah schließlich, und ihr Gesicht wurde erneut zu einer Fratze des Entsetzens.
»Die eine Seite seines Schädels?« hakte Rachael nach. »Bist du ganz sicher?«
»Ja. Tief eingedrückt. Es sah... schrecklich aus.«
»Seine Augen. Was ist mit seinen Augen?«
Mit erstickt klingender Stimme setzte Sarah mehrmals zur Antwort an. Sie senkte den Kopf, schloß für einige Sekunden die Augen und gab sich alle Mühe, nicht die Fassung zu verlieren.
Rachael schauderte und hatte plötzlich wieder das Gefühl, daß sich jemand - irgend etwas - dem Mercedes näherte. Nervös blickte sie in die Nacht hinaus und gewann den Eindruck, als beginne die Dunkelheit zu pulsieren, als sei die Finsternis bestrebt, in den Wagen zu kriechen, ins nahe Haus.
Als das verprügelte Mädchen aufsah, sagte Rachael: »Bitte erzähl mir von seinen Augen.« »Sie waren sonderbar. Wirklich eigenartig. Und ihr Blick... irgendwie umwölkt.«
»Seine Bewegungen. Fiel dir daran etwas auf?«
»Manchmal wirkten sie... abrupt, fast spastisch. Doch die meiste Zeit über war er schnell, schneller als ich.« Rachael nickte langsam. »Und du meintest eben, er habe undeutlich gesprochen.«
»Ja. Manchmal ergaben seine Worte überhaupt keinen Sinn. Gelegentlich hörte er auf, mich zu schlagen, stand einfach nur da und schwankte hin und her, so als sei er
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