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Schattenfeuer

Schattenfeuer

Titel: Schattenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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anderen Wunden. Eric wußte, daß er etwa eine Woche lang viel Ruhe brauchte, doch während dieser Zeitspanne rechnete er mit immer kürzer werdenden Phasen der Stasis. In zwei oder drei Wochen dann würde sein körperlicher Zustand nicht schlimmer sein als der eines Mannes, der das Krankenhaus nach einer großen Operation verließ. In rund einem Monat erwartete ihn das Ende des Rekonvaleszenzprozesses.
    Doch die geistige Erholung hielt nicht annähernd mit der körperlichen Schritt. Selbst bei vollem Bewußtsein, wenn sich Herzschlag und Atemrhythmus normalen Werten näherten, war Eric nie ganz bei sich. Nur selten standen ihm die vollen intellektuellen Kapazitäten wie vor seinem Tod zur Verfügung, und bei solchen Gelegenheiten begriff er kummervoll, daß er die meiste Zeit über rein mechanisch handelte, wie ein Roboter, daß sich sein Geist häufig in einem Labyrinth des Hasses verlor.
    Seltsame Gedanken gingen ihm durch den Kopf.
    Manchmal glaubte er, wieder ein junger Mann zu sein, der gerade vom College kam, und dann wieder wurde ihm bewußt, daß er schon über vierzig war. Gelegentlich wußte er nicht genau, wo er sich befand. Das geschah insbesondere, wenn er auf der Straße mit einem Wagen unterwegs war, wenn sich seinen Blicken keine klaren Bezugspunkte zum ersten Leben darboten. In solchen Fällen stieg die plötzliche Angst in ihm empor, für immer die Orientierung zu verlieren, und er mußte am Straßenrand halten, bis er der Panik Herr wurde. Er spürte, daß er ein großes Ziel anstrebte, eine wichtige Mission zu Ende bringen wollte, aber er sah sich außerstande, sich ein deutliches Bild von seiner Bestimmung zu machen. Hin und wieder glaubte er, er sei tot und wandele durch die ersten Ebenen einer Hölle, die der Fantasie Dantes entsprungen sein mochte. Dann und wann erinnerte er sich vage daran, Menschen getötet zu haben, konnte sich jedoch nicht einmal an ihre Gesichter erinnern. Ab und zu ertappte er sich bei der Überlegung, wie aufregend und angenehm es wäre, zu morden, irgend jemanden umzubringen, denn im Grunde seines Wesens wußte er, daß man ihn verfolgte, es auf ihn abgesehen hatte. Die verdammten Mistkerle waren erneut hinter ihm her, und es spielte keine Rolle, wie sie hießen. Es kam nur darauf an, daß sie diesmal mit einer noch größeren Entschlossenheit vorgingen. Manchmal dachte er besorgt: Denk an die Mäuse, die Mäuse, konfusen Mäuse, die immer wieder gegen die Wände ihrer Käfige liefen und sich im Kreis drehten. Des öfteren sprach er es auch laut aus: »Denk an die Mäuse, die Mäuse.« Aber er hatte keine Ahnung, was diese Worte bedeuteten. Was für Mäuse? Wo? Wann?
    Er sah auch seltsame Dinge.
    Gelegentlich erblickte er Personen, die gar nicht zugegen sein konnten: seine vor vielen Jahren verstorbene Mutter, einen verhaßten Onkel, der ihn mißbraucht hatte, als er noch ein kleiner Junge gewesen war, einen Rüpel aus der Nachbarschaft, lange Zeit sein Schrecken in der Schule. Hin und wie der starrte er auf Geschöpfe, die an den Wänden umherkro chen, Schlangen, Spinnen und noch gräßlichere Wesen -so als litte er am Delirium tremens eines chronischen Alkoholikers.
    Einige Male war er völlig sicher, einen Pfad aus pechschwarzen Steinplatten zu sehen, der in ein Reich der Finsternis führte. Immer verspürte er den sonderbaren Zwang, dem Verlauf jenes Weges zu folgen, der sich dann jedoch als Illusion herausstellte, als ein Trugbild, geformt von einer morbiden und makabren Fantasie.
    Von all den Erscheinungen, die nicht nur die Wahrnehmung heimsuchten, sondern auch sein gestörtes Bewußtsein, empfand Eric die Schattenfeuer als besonders erschrekkend. Von einem Augenblick zum anderen flackerten sie auf, knisterten und prasselten auf eine Weise, die er sowohl hören als auch fühlen konnte, direkt in seinen Knochen. Wenn er irgendwo unterwegs war, seine Aufmerksamkeit auf die Umgebung konzentrierte, die Welt der Lebenden durchstreifte und sich als einer von ihnen ausgab, wenn es ihm besser ging, als er zu hoffen wagte... entstand plötzlich ein Feuer im dunklen Winkel eines Zimmers oder im Schatten unter einem Baum. Und dann leckten die Flammen nach ihm, blutrot im Kern, silbrig am Rand. Wenn er genauer hinsah, stellte er fest, daß überhaupt nichts brannte, daß die Flammen durch leere Luft züngelten und weder Holz noch Kohle verzehrten. Dann hatte es den Anschein, als nähre sich das Feuer von den substanzlosen Schatten und Schemen. Und wenn die Flammen

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