Schattenfeuer
erloschen, blieb überhaupt nichts zurück, keine Asche, keine verkohlten Fragmente, keine Rauchflecken.
Zwar hatte sich Eric während seines ersten Lebens nie vor dem Feuer gefürchtet, hielt jedoch an der pyrophobischen Vorstellung fest, daß ihn das Ende in Form von Flammen erwartete. Daher versuchte er sich einzureden, die Illusion der Schattenfeuer entspringe aus den Tiefen seines Unterbewußtsein, vielleicht einer übermäßigen Stimulation der Synapsen in seinem geschädigten Hirn -elektrische Impulse, die sich nicht mehr auf festgelegten Bahnen bewegten, sondern im zumindest teilweise destruktierten Gewebe von Neuronen und Synapsen. Darüber hinaus sagte er sich, die Trugbilder jagten ihm vor allen Dingen deshalb einen Schrecken ein, weil er ein Intellektueller war, ein Mann, der sich Zeit seines Lebens auf das Geistige konzentrierte und daher das Recht hatte, sich Sorgen zu machen, wenn er es mit deutlichen Anzeichen für Bewußtseinsstörungen zu tun bekam. Er zweifelte nicht an einer endgültigen Heilung des Hirngewebes, und dann brauchte er die Schattenfeuer nicht länger zu fürchten. Doch während der weniger klaren Phasen, wenn die Welt finster und gespenstisch wu rde, wenn sich ein Kokon der Verwirrung um ihn schloß und sich Panik in ihm regte, blickte er in namenlosem Entsetzen auf die roten und silbrigen Flammen und erstarrte manchmal vor Angst, weil er glaubte, jenseits des tanzenden Flackerns irgend etwas zu erkennen.
Als das erste Schimmern des neuen Tages mit großer Beharrlichkeit die Reste der Dunkelheit von den Hängen der Berge vertrieb, erwachte Eric Leben aus der Stasis, stöhnte erst leise, dann lauter -und kam wieder zu sich. Vorsichtig stemmte er sich in die Höhe und blieb auf der Bettkante sitzen. Sein Gaumen war trocken, und der widerwärtige Ge schmack im Mund ähnelte dem von Asche. Dumpfer Schmerz pochte hinter der Stirn. Behutsam tastete er über die eingedrückte Stelle und vergewisserte sich, daß sein Schädel nicht auseinanderzubrechen drohte.
Ein trüber Schein filterte durch die Scheiben zweier Fenster, und außerdem brannte eine kleine Lampe. Das Licht reichte nicht aus, um alle Schatten aus dem Schlafzimmer zu vertreiben, genügte jedoch, um Erics empfindsame Augen zu blenden. Sie tränten und brannten, erinnerten ihn daran, daß sich alle anderen Organe besser an sein zweites Leben anpaßten, das in der Kälte des Leichenschauhauses begonnen hatte. Dieser Umstand ließ sich so interpretieren, als sei die Dunkelheit sein eigentliches Zuhause, als gehöre er nicht in eine Welt, die von Sonnenschein oder Lampen erhellt wurde.
Einige Minuten lang konzentrierte sich Eric darauf, gleichmäßig zu atmen. Dann nahm er ein Stethoskop und prüfte seinen eigenen Herzschlag. Ziemlich schnell. Vielleicht stand ihm nicht so bald eine neue Periode der körperlichen und geistigen Starre bevor.
Außer dem Stethskop verfügte er auch noch über einige andere Instrumente, mit denen er kontrollierte, welche Fortschritte der Erholungsprozeß machte, und sowohl die Ergebnisse als auch seine ganz persönlichen Beobachtungen hielt er in einem Notizbuch fest. Häufig trübte sich Erics Bewußtsein, aber er vergaß nie, daß er der erste Mensch war, der die Grenze des Todes von der anderen Seite her überschritten hatte, daß er Geschichte machte und seine Aufzeichnungen nach der vollständigen Rekonvaleszenz einen ungeheuren Wert gewannen.
Denk an die Mäuse, die Mäuse...
Verärgert schüttelte er den Kopf, so als sei dieser Gedanke ein lästiges Insekt, das in seinem Kopf hin und her schwirrte. Denk an die Mäuse, die Mäuse: Er hatte überhaupt keine Ahnung, was diese Worte bedeuteten, aber sie wiederholten sich ständig, verlangten immer beharrlicher nach einer Aufmerksamkeit, die er ihnen nicht schenken wollte. Irgendein Teil seines Ichs befürchtete vage, daß er wußte, was es mit den Mäusen auf sich hatte, daß er entsprechende Überlegungen nur verdrängte, um nicht erneut in Panik zu geraten. Doch wenn er sich auf dieses Thema konzentrierte, wenn er die Botschaft des mentalen Hinweises zu ergründen versuchte, spürte er nur, wie er innerlich zu zittern begann und sich sein Denken verwirrte.
Nach der Selbstanalyse schlug Eric das Notizbuch auf, und sein Blick fiel auf fast leere Seiten. Er machte keine Anstalten, die Resultate der gerade beendeten Untersuchung einzutragen. Einerseits fiel es ihm nach wie vor schwer, sich lange genug zu konzentrieren, um lesbare Zeichen zu
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