Schattenfluch: Druidenchronik. Band 3 (German Edition)
darüber, den Anstieg überwunden zu haben. Zu groß war die Erschöpfung, die Kälte, der Schock über die Geschehnisse. Es war schwer zu glauben, dass es erst einen Tag her war, dass die Reiter über das Dorf hergefallen waren und ein Dutzend seiner Bewohner getötet hatten.
Ein heiseres, trockenes Husten ließ Seog aufmerken. Es stammte von einem Mädchen auf dem Arm eines der Germanen. Obwohl es in eine Decke eingehüllt war und eine dicke Wollmütze auf dem Kopf trug, waren seine Lippen bereits blau vor Kälte. Es hustete noch einmal. Und es war nicht die Art von Husten, von der man wusste, dass er in zwei Tagen wieder vorüber war.
Es war die andere Art.
Der Gedanke zerriss Seog das Herz. Er kannte diesen Husten. Seine Schwester hatte ihn bekommen. Ein einziges Mal war sie mit draußen gewesen auf dem Meer, weil sie wissen wollte, was Vater und Bruder den ganzen Tag auf dem Boot so trieben. Just an diesem Tag waren sie von Sturm und Schneeregen überrascht worden. Zwei Tage lang konnten sie nichts anderes tun, als zu den Göttern zu beten, bis der Sturm endlich nachgelassen hatte und sie nach Hause segeln konnten. Doch da war es bereits zu spät gewesen – die Lungenentzündung seiner Schwester war da bereits so weit fortgeschritten, dass nicht einmal der Heilerdruide Meven, den seine Eltern in ihrer Not herbeigerufen hatten, ihr noch helfen konnte.
Dies
war
ein Notfall, beschloss Seog. Er nahm sich Gautrek zur Seite und fragte ihn in leisem Englisch: »Was sollen wir tun?«
Gautrek sah überrascht auf und meinte spontan: »Keine Ahnung.« Erst dann schien er sich tatsächlich Gedanken darüber zu machen. »Zurückzugehen«, murmelte er nach etwas Grübeln, »ist keine Option, schätze ich.«
Seog sah nach hinten, wo bereits die ersten Wölfe am Ende des Sattels aufgetaucht waren. »Nein.«
»Dachte ich mir. Hmmmm.« Gautreks Schläfenmuskulatur arbeitete, während er mit grimmigem Gesichtsausdruck weiter nachdachte. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich fürchte, mir fällt nichts Besseres ein, als dass ich vorgehe und nach dem bestmöglichen Weg suche.«
Seog rümpfte die Nase. »Ich sollte vorausgehen.«
»Und Ihr findet den Weg?«
»Ich sterbe zumindest nicht, wenn ich in eine Lawine gerate!«
»Nein, Ihr werdet nur unter Tonnen von Schnee begraben. Da drunter seid Ihr so gut wie tot, und außerdem haben wir dann niemanden mehr, der mit dem Geist spricht.«
»Du kannst auch mit dem Geist sprechen!«
»Und was sage ich ihm, wenn er die Kelten töten will? Dass ich die Hilfe des Waldes brauche, um den Krieg fortzusetzen? Denkt Ihr wirklich, der Geist glaubt mir das?« Gautrek sah sich kurz um, ob auch tatsächlich niemand zuhörte, und fuhr leiser, dafür aber deutlich energischer fort: »Glaubt Ihr denn, ich
würde
den Krieg fortsetzen?« Der Germane schüttelte entschieden den Kopf, während sein Gesicht langsam wieder rosig wurde und die Narbe verblassen ließ. »Nein, Herr, das würde ich nicht. Ich mag vielleicht in meinem Stamm ein Hauptmann sein, aber was bedeutet das schon? Ich habe noch in keinem einzigen Schildwall gestanden, zumindest in keinem, der dann auch gekämpft hätte. Ich besitze wahrscheinlich nicht ein Zehntel der Kampferfahrung Eures Hauptmanns Gwezhenneg dort drüben! Im Gegensatz zu Euch kann ich nicht zurück in die Außenwelt, und außerdem weiß ich nicht, ob Eure Kelten mir folgen würden. Sie haben die Freiheitgeschmeckt, mir zu folgen würde zu sehr nach ihrer Leibeigenschaft in Vestnes schmecken. Nein, Herr. Wir brauchen
Euch
für diese Aufgaben. Diese Leute brauchen Euch! Ihr seid unser Anführer, Ihr könnt nicht jedes dumme Risiko auf Euch nehmen, das sich Euch in den Weg stellt!« Damit wandte er sich um und ließ ihn stehen.
Seog blinzelte. Gautreks Ausbruch hatte ihn völlig auf dem falschen Fuße erwischt. Noch immer nach Worten ringend, beobachtete er, wie der norðmaðr kurz mit dem Jungen sprach, den er getragen hatte, ihm mit der Hand kurz den Kopf tätschelte und dann ohne einen Blick zurück zum Abhang stapfte. Seog rang mit sich, den Hauptmann zurückzuhalten, doch er war sich nicht sicher, ob Gautrek nicht doch Recht hatte mit seinen Worten. Erst als er längst nicht mehr zu sehen war, gab Seog seine Gedanken auf und folgte langsam seinen Spuren. Hinter ihm erteilte Gwezhenneg den Befehl zum Weitermarsch.
Gautreks Befürchtungen schienen sich jedoch vorerst als unbegründet zu erweisen, denn zuerst fiel das Terrain nur recht langsam. Der
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